Das Feuer brach am 28. Dezember des letzten Jahres gegen drei Uhr früh auf einem der Autodecks aus. Die «Norman Atlantic» befand sich zu diesem Zeitpunkt gut 30 Seemeilen vor der griechischen Insel Othoni. Sie hatte rund 500 Personen und über 200 Fahrzeuge an Bord, die nach Ancona in Italien unterwegs waren.
Mindestens 11 Menschen überlebten das Unglück nicht, 18 werden noch immer vermisst. Die Evakuierung der Fähre dauerte über 36 Stunden. Das schwer beschädigte Schiff wurde schliesslich zur Untersuchung in den Hafen von Brindisi (I) geschleppt. Ende Januar gab die italienische Staatsanwaltschaft bekannt, dass die Feuerlöschanlagen der «Norman Atlantic» möglicherweise nicht voll funktionstüchtig gewesen seien. Grund: Verkrustete Ansaugöffnungen am Schiffsrumpf.
Dieser Fall macht deutlich: Ist der Sicherheitsstandard auf Hochseefähren nicht auf Topniveau, droht bei Notfällen Lebensgefahr. Fehlende Ausrüstung, mangelhafte Wartung und eine überforderte Crew können rasch zu einer Katastrophe führen.
Dennoch scheinen Reedereien und Fährenbesatzungen die Sicherheit an Bord nicht allzu ernst zu nehmen. Das zeigen Tests des deutschen Automobilclubs (ADAC) auf Fähren in der Nord- und der Ostsee, im Ärmelkanal, im Mittelmeer und zwischen den Kanarischen Inseln. Der erste dieser Tests fand vor bald 20 Jahren statt, der jüngste im Frühling 2014. Durchgeführt wurden die Kontrollen durch unabhängige Sachverständige. An Bord der Schiffe richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf Sicherheitsinformationen, Konstruktion und Stabilität, Brandschutz, Rettungsmittel und Sicherheitsmanagement.
42 von 114 Fähren mit teils grossen Mängeln
Der K-Tipp hat die letz-ten fünf ADAC-Fährentests ausgewertet. Sie fanden in den Jahren 2004, 2005, 2006, 2009 und 2014 statt und untersuchten die Sicherheitslage auf total 114 europäischen Fähren. Das Resultat ist ernüchternd: 42 Fähren schnitten mittelmässig bis schlecht ab. Sie erreichten nur gerade die Noten «ausreichend» (33 Schiffe), «mangelhaft» (7 Schiffe) oder «sehr mangelhaft» (2 Schiffe).
Auf der «sehr mangelhaften» Fähre Penelope A der Reederei Agoudimos Lines bemängelten die Tester 2005 unter anderem sehr schlecht gewartete Rettungsboote und Feuerlöschstationen, ein veraltetes Sprinklersystem, mehrere verschlossene Notausgänge, eine dürftige Notbeleuchtung und spärliche Sicherheitsinformationen.
Auf der Testverliererin von 2009, der «Sardinia Vera» von Kallisti Ferries, entdeckten sie spröde Löschschläuche, verrostete und deshalb kaum zu öffnende Türschlösser, dick mit Farbe verklebte Hydranten und diverse weitere Mängel. Unter dem Strich sei der technische Zustand besorgniserregend, ebenso das Sicherheitsbewusstsein der Mannschaft.
Wenig Erfreuliches berichteten die Inspektoren immer wieder auch von «ausreichenden» Fähren. Auf der «Juan J. Sister» etwa kritisierten sie letztes Jahr die sehr schmalen, eine Evakuierung erschwerenden Treppen, teils marode Feuerlöschanlagen an Deck sowie fehlende Notlichter und Signalpfeifen an einigen Schwimmwesten. Und auf der «Scandola» missfielen ihnen im gleichen Jahr schlecht gewartete Rettungsboote sowie die Brandgefahr auf dem Autodeck wegen Benzinpfützen und ungesicherter Farbkübel.
Von den 33 Fähren, die in den letzten fünf ADAC-Tests als «ausreichend» bewertet wurden, sind 25 nach wie vor im Einsatz. Aber auch vier der neun «mangelhaften» und «sehr mangelhaften» Schiffe stehen noch im Dienst: «Nefeli» – sie ist unter dem Namen La Galera für die Gesellschaft Navibus in Venezuela unterwegs –, «Phivos», «Sansovino» und «Sardinia Vera». Letztere verkehrt nun für Corsica Ferries zwischen Sardinien bzw. Korsika und dem italienischen Festland.
Keine gezielten Nachkontrollen
Ob es auf diesen Fähren jetzt besser um die Sicherheit steht, weiss der ADAC nicht. Gezielte Nachkontrollen habe man nur bei den ersten Fährentests durchgeführt, sagt Robert Sauter vom Testzentrum Mobilität des ADAC. Später wurde höchstens noch punktuell nachgetestet.
Der K-Tipp fragte darum direkt die aktuellen Betreiber von «Nefeli»/«La Galera», «Phivos», «Sansovino» und «Sardinia Vera», ob sie die in den Tests kritisierten Sicherheitsmängel behoben hätten. Ein Antwort gabs nur von Corsica Ferries: Auf der «Sardinia Vera» seien alle Probleme im Zuge der Unterhaltsarbeiten zwischen September 2009 und Juni 2010 beseitigt worden, so Sprecher Marc-Antoine Loine.
Allerdings: Am 8. Januar dieses Jahres bemängelten die Hafenbehörden von Bastia bei einer Inspektion auf der «Sardinia Vera» das Feuerlöschsystem als «nicht den Anforderungen entsprechend».
Schlechtes Testresultat: Keine Lehren gezogen
Reedereien und Fährenbesatzungen sollten sich sofort um die Behebung von Sicherheitsmängeln an Bord kümmern, wenn solche bei Kontrollen entdeckt werden. Sie tun es aber nicht immer. Das zeigt der Fall «Volcan de Tenagua».
Auf dieser Fähre der kanarischen Reederei Naviera Armas kritisierten die Tester des ADAC im März 2005 eine Vielzahl an Defiziten, darunter schmutzige und schlecht gewartete Rettungsboote und miserable Sicherheitsinformationen. Ihr Verdikt: «Mangelhaft.»
Drei Jahre später, am 30. April 2008, kollidierte das Schiff – es hiess inzwischen Assalama – kurz nach dem Auslaufen aus dem Hafen des marokkanischen Küstenorts Tarfaya mit einem Felsen. Der Kapitän wollte die Überfahrt zur Kanareninsel Fuerteventura zunächst fortsetzen, doch das Leck verhinderte dies, und die Fähre lief gut 150 Meter vor Tarfaya auf Grund.
Die Rettung der 113 Passagiere verlief chaotisch. Es gab nur zwei Rettungsboote, von denen eines unbrauchbar war. Dass alle Menschen in Sicherheit gebracht werden konnten, war vor allem lokalen Fischern zu verdanken. Ihnen gelang es, trotz Wellengangs mit ihren kleinen Booten zur «Assalama» beizudrehen und viele Passagiere aufzunehmen. Das Wrack der «Assalama» ist noch heute gut sichtbar.