Welche Unterstützung können Konsumenten vom Parlament erwarten? Werden ihre Interessen von den Volksvertretern gewahrt? Antworten auf diese Fragen gibt die Auswertung des Stimmverhaltens der vergangenen zwei Jahre.
Die Basis bilden 50 Abstimmungen im Nationalrat und 40 Abstimmungen im Ständerat über Vorlagen, die für die Frau und den Mann von der Strasse wichtig waren (siehe Kasten). Sie betreffen fünf Themenbereiche: Lebensmittel, Konsumentenschutz, Sozialversicherungen, Gesundheitswesen und das Verhältnis zum Staat. Darunter befinden sich Gesetze und Vorstösse zu Pestizideinsatz, Nahrungsmitteldeklaration, Zollgebühren, Persönlichkeitsschutz, Rentenalter, Krankenkassenprämien, Politikfinanzierung und vielem mehr.
Das sind die wichtigsten Resultate:
Insgesamt zeigte der Ständerat den Konsumenten häufiger die kalte Schulter als der Nationalrat. Konkret: Er entschied nur bei 18 von 40 Abstimmungen konsumentenfreundlich – also bei weniger als der Hälfte. Im Nationalrat war das hingegen bei 38 von 50 Abstimmungen der Fall – bei rund drei Vierteln der Abstimmungen (siehe Grafiken im PDF).
Zum Vergleich: In den Jahren von 2015 bis 2019 hatte sich der Nationalrat lediglich in 13 von 50 Abstimmungen für die Interessen der Konsumenten ausgesprochen (siehe K-Tipp 16/2019). Die Wahlen vom Oktober 2019 bewirkten also einen Umschwung. Sitzgewinne machten damals vor allem die Grünen und die Grünliberale Partei (GLP).
SP an der Spitze, SVP am Schluss
Am konsumentenfreundlichsten stimmte seit Beginn der neuen Amtsperiode die SP ab, gefolgt von den Grünen. Die Mitte (früher CVP und BDP) war etwas konsumentenfreundlicher als die FDP, vor allem im Nationalrat. Die SVP belegt in beiden Räten den letzten Platz.
EVP und GLP erreichten im Nationalrat punkto Konsumentenschutz die Plätze drei und vier. Sie liegen damit näher bei SP und Grünen als bei Die Mitte, FDP und SVP. Im Ständerat sind die EVP und die GLP nicht vertreten.
Bei einigen Vorlagen stimmten auch Vertreter von SP und Grünen gegen die Interessen der Konsumenten: etwa bei drei Vorstössen, die es Konsumenten erschweren oder verunmöglichen wollen, wie bisher Waren bis zu einem Wert von 300 Franken zoll- und steuerfrei einzuführen. Die Nationalratsmitglieder der SP lehnten diese konsumentenfeindlichen Vorstösse mehrheitlich ab. Im Ständerat aber stimmten je vier SP-Leute mit Ja und Nein. Die Grünen nahmen die Vorstösse in beiden Räten an – entgegen den Interessen der Konsumenten. Die FDP hingegen zeigte sich im Ständerat konsumentenfreundlich und sagte als einzige Partei Nein.
SP und Grüne waren sich beim grössten Teil der Vorlagen einig. Beide stimmten im Nationalrat auch häufig gleich wie die GLP.
Bei FDP, Mitte und SVP traten mehr Differenzen zutage. Das zeigt sich etwa bei sechs Geschäften, die zum Schutz von Mensch, Tier und Wasser mehr Zurückhaltung beim Einsatz von Pestiziden oder Antibiotika verlangten: Im Nationalrat sagte die FDP zu fünf Vorlagen Ja, Die Mitte zu drei und die SVP zu einer. Die Idee wiederum, zwecks Kostensenkung den Parallelimport von Medikamenten zu erleichtern, unterstützten FDP und SVP, nicht aber Die Mitte. Gesamthaft stimmten Die Mitte, FDP und SVP im Nationalrat nur bei 17 der 50 Abstimmungen gleich – SP, Grüne und GLP hingegen 38 Mal.
«Konzerninteressen dominieren zu oft»
Was sagen die Parteien zur Auswertung des K-Tipp? Die SVP hält sie für «einseitig». Sie ziele auf eine Auswahl mehrheitlich links- grüner Forderungen ab, aus deren Ablehnung eine konsumentenfeindliche Haltung der SVP gezimmert werde. «Die SVP setzt sich als einzige Partei dafür ein, dass dem hart arbeitenden Mittelstand nicht noch mehr Geld aus dem Portemonnaie gezogen wird.»
Mitte-Präsident Gerhard Pfister erstaunt die Platzierung seiner Partei im Mittelfeld der Rangliste nicht: «Wir engagieren uns für das Gesamtwohl der Schweiz und sind nicht Partikularinteressen verpflichtet.»
EVP-Präsidentin Lilian Studer findet, konsumentenfreundlich zu politisieren sei für sie eine Frage der Werthaltung: «Wem Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Menschenwürde und Familie wichtig sind, dessen Entscheide fallen zwangsläufig meist konsumentenfreundlich aus.» GLP-Präsident Jürg Grossen erklärt, seine Partei setze sich in der Wirtschaft wie beim Staat für Nachhaltigkeit ein: «Das ist der Schlüssel, damit es den Konsumenten langfristig gut geht.»
Balthasar Glättli, Präsident der Grünen, bezeichnet seinerseits den Einsatz «für das Recht auf Information, Datenschutz und Privatsphäre» im Zeitalter der Digitalisierung als «wichtiger denn je». Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP, stellt fest: «Leider dominieren im Bundeshaus noch viel zu oft die Interessen der grossen Konzerne.» Das erkläre, warum etwa die Medikamentenpreise viel zu hoch seien oder es nicht endlich griffige Massnahmen gegen die explodierenden Mieten gebe.
90 Abstimmungen ausgewertet
Für seine Halbzeitbilanz untersuchte der K-Tipp das Stimmverhalten aller Parteien mit mehr als einem Vertreter im Parlament. Er wertete aus dem Nationalrat 50 und aus dem Ständerat 40 Abstimmungen aus. Sie fanden statt im Zeitraum ab der Wintersession 2019 bis und mit der Herbstsession 2021. Und sie betrafen insgesamt 57 für Konsumenten wichtige Vorlagen. Über 33 stimmten beide Räte ab, über 17 nur der National- und über 7 nur der Ständerat.Die Liste aller 57 Geschäfte findet man unter www.ktipp.ch/parlament.
Bei sämtlichen Abstimmungen ermittelte der K-Tipp für jede Partei, ob die Mehrheit der anwesenden Parlamentarier für oder gegen die Interessen der Konsumenten stimmte. Enthaltungen wurden nicht berücksichtigt. Das Abstimmungsverhalten der Parteien bei jeder der 90 Abstimmungen ist unter www.ktipp.ch/parlament abrufbar.