Infusionsschläuche gefährden Neugeborene
Weichmacher in Medizinalartikeln sind gefährlich - vor allem für Früh- und Neugeborene. Das belegt eine neue Studie. Trotzdem verwenden nur wenige Spitäler ungefährliche Alternativen.
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K-Tipp 3/2005
09.02.2005
Pirmin Schilliger - redaktion@ktipp.ch
Schon länger gelten Weichmacher in Polyvinylchlorid (PVC) als gesundheitlich bedenklich. Sie enthalten Stoffe, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein, Augen, Nieren und das Fortpflanzungssystem zu schädigen sowie den Hormonhaushalt zu stören. Besonders empfindlich reagieren Neugeborene, Kinder und Schwangere auf DEHP (Diethylhextylphthalate).
Diese Weichmacher sind deshalb in der Schweiz seit 1985 als Zusatz in Spielzeugen für Kinder unter 3 Jahren verboten.
Schon länger gelten Weichmacher in Polyvinylchlorid (PVC) als gesundheitlich bedenklich. Sie enthalten Stoffe, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein, Augen, Nieren und das Fortpflanzungssystem zu schädigen sowie den Hormonhaushalt zu stören. Besonders empfindlich reagieren Neugeborene, Kinder und Schwangere auf DEHP (Diethylhextylphthalate).
Diese Weichmacher sind deshalb in der Schweiz seit 1985 als Zusatz in Spielzeugen für Kinder unter 3 Jahren verboten.
Die Gefährlichkeit der DEHP ist unbestritten, doch sie wurde lange unterschätzt: Der menschliche Körper nimmt nämlich wesentlich mehr der heiklen Stoffe auf als bisher angenommen. Der Toxikologe Jürgen Angerer von der deutschen Uni Erlangen hat in einer Studie bei 10 Prozent der untersuchten Personen Phthalat-Mengen nachgewiesen, die über der erlaubten Konzentration von 37 Mikrogramm pro Kilo Körpergewicht liegen. Diesen Toleranzwert nennt die Weltgesundheitsorganisation WHO.
Speziell gefährdet sind Frühgeborene. Sie nehmen über Infusionsschläuche die DEHP in Dosen auf, die an ihrem winzigen Gewicht gemessen gigantisch sind und den Toleranzwert um das x-fache übertreffen. Dies ist das erschreckende Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Studie des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland («Bund»).
DEHP gelangt direkt in den Blutkreislauf
Getestet wurden im Verlauf der Studie 48 medizinische Geräte und Artikel. Als hochriskant entpuppten sich dabei neue Infusionsschläuche aus PVC: In den ersten 24 Stunden der Anwendung können bis zu 50 Prozent der DEHP mittels Ausdunstung oder Auswaschung entweichen. Sie gelangen mit der Nahrung direkt in den Blut-kreislauf. Deshalb schlagen «Bund» und Gesundheitsorganisation Health Care Without Harm (HCWH) Alarm: «Diese gefährlichen Weichmacher haben in den Kinderabteilungen der Spitäler nichts zu suchen», warnt HCWH-Sprecherin Karolina Ruzickova.
Doch noch sind DEHP als Weichmacher in Medizinalprodukten erlaubt - auch in der Schweiz. Und: «Es gibt keine Übersicht, wie weit sie in den Spitälern eingesetzt werden», sagt Rainer Voelksen von der Heilmittelbehörde Swissmedic.
Laut einer HCWH-Untersuchung in deutschen, dänischen und schwedischen Spitälern enthält ein Drittel aller eingesetzten medizinischen Produkte PVC mit einem DEHP-Anteil zwischen 15 und 40 Prozent. HCWH schätzt, dass diese Weichmacher in den Schweizer Kliniken ebenso verbreitet sind wie in jenen der untersuchten Länder. Wie gefährlich die Phthalate für Neugeborene werden können, sind sich die Verantwortlichen in den Spitälern jedoch kaum bewusst.
Deklaration ist nicht vorgeschrieben
«Uns ist von einer Empfehlung, DEHP-freie Produkte zu verwenden, nichts bekannt», erklärt Petra Seeburger, Sprecherin des Universitätsspitals Zürich. Und Charly Einstein vom Inselspital Bern: «Wir beschaffen jährlich bis zu 20 000 verschiedene Produkte. Dabei ist es unmöglich festzustellen, welche DEHP enthalten könnten.»
Tatsächlich müssen die gefährlichen Inhaltsstoffe nicht einmal deklariert werden. Immerhin: Das Kantonsspital Luzern etwa verwendet Beatmungsschläuche, die aus Silikon sind und nicht aus PVC.
Nur wenige Spitäler verzichten auf PVC
Weiter ging das Kantonsspital St. Gallen: Dort wurden letztes Jahr sämtliche Artikel in der Frühgeborenen-Abteilung auf DEHP überprüft. «Aufgeschreckt worden sind wir durch eine amerikanische Studie, bei der zum ersten Mal bei Frühgeborenen die gefährlichen Weichmacher im Urin nachgewiesen wurden», erklärt die Medienbeauftragte Angelika Heuberger. Bei den Infusionsschläuchen und -beuteln konnte in St. Gallen nach dieser Untersuchung Entwarnung gegeben werden, nicht aber bei den Magensonden: Die enthielten nämlich DEHP.
Eine Sensibilisierung wie in Luzern und St. Gallen ist an Schweizer Spitälern noch die Ausnahme. Der Spitalverband empfiehlt zwar seinen Mitgliedern, PVC-freie Produkte einzukaufen. Solche Alternativen, wie sie grosse Hersteller wie Fresenius, Baxter und Nutricia Pfrimmer inzwischen offerieren, sind aber meist teurer. Viele Spitalverwaltungen wählen deshalb weiterhin PVC-Materialien.
Sollen die gefährlichen Weichmacher in der Schweiz verboten werden? Antworten Sie bitte auf www.ktipp.ch.