Markus Rindermann aus Lugano TI kündigte sein Telefonabo bei Sunrise auf Ende März 2012. Der Rentner aus dem Tessin erhielt weiterhin Rechnungen. Er reklamierte bei Sunrise – ohne Erfolg. Die Telecomfirma übergab die offene Forderung von Fr. 201.70 stattdessen an Intrum (früher «Intrum Justitia») weiter. Das Inkassounternehmen schlug 128 Franken für einen angeblichen «Verzugsschaden» auf die Rechnung, dazu kamen «Rechtsberater-Kosten» von 20 Franken und weitere Beträge. Rindermann bestritt die Schuld. Das Inkasso ging jahrelang weiter. Im Januar 2015 betrieb ihn Intrum über 396 Franken.
Rindermann liess sich nicht einschüchtern. Er erhob Rechtsvorschlag und stoppte so die Betreibung. Gleichzeitig reklamierte er bei der Beschwerdestelle des Verbands der Inkassotreuhandinstitute (VSI). Im Februar 2015 schrieb der Verband dem Rentner, Sunrise habe Fehler bei der Bearbeitung der Kündigung bestätigt. Und Intrum die Betreibung zurückgezogen.
Trotzdem flatterte im März 2018 eine neue Mahnung ins Haus. Dieses Mal forderte das Inkassobüro Fr. 170.70. Intrum beendete das Inkasso erst nach einer Intervention des K-Tipp. Intrum-Sprecher Michael Loss schiebt die Schuld auf Sunrise. Diese habe den Fall zweimal «fälschlicherweise bei uns eröffnet und nun wieder zurückgezogen».
Auch Walter Maurer (Name geändert) aus Cazis GR musste sich gegen Intrum wehren. Er bestellte Anfang 2010 ein GA der SBB für 3420 Franken. Jeden Monat sollte er 285 Franken daran zahlen. Damit kam er in Verzug. Die SBB beauftragten Intrum mit dem Inkasso. Das Unternehmen betrieb Walter Maurer wegen offener Rechnungen über 555 Franken und forderte noch 3660 Franken, da sich das Abo automatisch um ein Jahr verlängert habe. Mit Zinsen, Verzugsschaden und anderer Auslagen sollte der Bündner insgesamt Fr. 6168.90 zahlen.
Vor Gericht krebste Intrum zurück
Maurer erhob gegen den Zahlungsbefehl Rechtsvorschlag. Daraufhin klagte ihn Intrum vor dem Bezirksgericht Hinterrhein GR ein. Vor Gericht reduzierte das Inkassounternehmen den Verzugszins von 15 auf 6 Prozent – und verzichtete auf die Geltendmachung eines weiteren «Verzugsschadens». Damit gestand Intrum ein, dass diese Forderung rechtlich unbegründet war (siehe unten). Nach der zweiten Instanz musste Maurer statt Fr. 6168.90 nur 555 Franken plus Zinsen zahlen.
Trotz dem Urteil betrieb Intrum den Bündner im Jahr 2017 über 11 000 Franken – der Ursprungsbetrag plus Verzugsschaden und Zinsen. Und wieder brauchte es eine Intervention des K-Tipp, bis Intrum die Betreibung zurückzog. Unternehmenssprecher Loss sagt dazu, ein «technisches Versehen» habe zur Betreibung über den Ursprungsbetrag geführt.
Inkassobüros prüfen die Fälle nicht
Auch viele andere K-Tipp-Leser beschweren sich über unbegründete Forderungen von Inkassobüros. Der Dachverband Schuldenberatung Schweiz kritisiert, die Firmen würden Schulden eintreiben, ohne vorher abzuklären, ob diese berechtigt sind. «Inkassobüros prüfen gar nichts», sagt der Geschäftsleiter des Dachverbands, Sébastien Mercier. «Wir sehen oft Firmen, die unbegründete, unbewiesene oder verjährte Forderungen eintreiben.» Intrum-Sprecher Loss bestätigt: «In diesem Geschäft mit jährlich mehreren Millionen neuer Inkassofälle ist es wirtschaftlich nicht haltbar, die einzelnen Fälle vorgängig zu prüfen.»
Inkassofirmen dürfen aber keine unberechtigten Forderungen eintreiben. Konsumenten können in solchen Fällen Strafanzeige einreichen – wegen Nötigung und unlauteren Wettbewerbs.
Das bestätigte das Bundesgericht im vergangenen Juli: Wer bei der Geltendmachung einer nicht bestehenden Forderung eine Betreibung oder steigende Kosten androht, begeht eine Nötigung (Urteil 6B_1074/2016 vom 20. Juli 2017, E. 2.3.2).
Das sind Ihre Rechte gegen Inkassofirmen
Wer Post einer Inkassofirma erhält, sollte die eingeforderten Beträge genau prüfen und nur das zahlen, was tatsächlich geschuldet ist. Wichtig: Sich auf keinen Fall durch Drohungen mit Betreibung einschüchtern lassen.
Vollmacht oder Abtretung: Die Inkassofirma kann als Vertreter einer Firma handeln. Dazu braucht sie eine Vollmacht. Oder sie macht eine Forderung in eigenem Namen geltend. Dann muss sie schriftlich belegen, dass ihr die Forderung abgetreten wurde.
Akteneinsicht: Behauptet eine Inkassofirma, Sie seien jemandem Geld schuldig, soll sie das mit Verträgen und Rechnungen belegen. Verlangen Sie davon eine Kopie. Fordern Sie in einem Brief kostenlose Einsicht in alle Sie betreffenden Akten. Diesen Anspruch haben Sie gestützt auf das Datenschutzgesetz.
Höhe der Forderung: Inkassobüros verlangen häufig ungesetzliche Zuschläge. Zahlen Sie nur den geschuldeten Betrag plus Verzugszinsen von fünf Prozent, wenn im Vertrag keine höheren Zinsen verabredet wurden. Auch Mahnspesen sind nur dort geschuldet, wo sie vertraglich abgemacht sind.
Zuschläge: Sogenannte «Verzugsschäden» oder «Rechtsberaterkosten» und Ähnliches sind nicht geschuldet.
Rechtsvorschlag: Eine Betreibung können Sie kostenlos stoppen, in dem Sie Rechtsvorschlag erheben. Das heisst:
Die Forderung wird bestritten. Dann liegt der Ball wieder bei der Inkassofirma.
Will sie weiterhin Geld und geht sie vor Gericht, muss sie jeden Franken ihrer Forderung begründen können. Das misslingt oft.
Betreibungsregister: Ab dem nächsten Jahr gilt ein neues Gesetz. Dann kann man ungerechtfertigte Betreibungen rasch aus dem Registerauszug entfernen lassen.
Unterlagen: Behalten Sie alle Akten mindestens zehn Jahre lang auf. Kommt es zu einem Verlustschein oder einer Pfändung, sollten Sie alles, was zum Fall gehört, dauerhaft aufbewahren. Vielfach versuchen es Inkassofirmen nach vielen Jahren erneut.
Beschwerdestelle: Beim Inkassoverband gibt es eine verbandsinterne Beschwerdestelle. Konsumenten können sich kostenlos an sie wenden.
www.inkassoverband.ch