Rainer Böhm buchte im Januar 2021 für sein Kleinunternehmen im Zürcher Oberland bei der Sunrise-Tochter Yallo einen Glasfaserinternetanschluss mit einer versprochenen Leistung von 10 Gigabit pro Sekunde (Gbit/s). Böhm entschied sich für dieses Angebot, weil er seinen Betrieb rund um die Uhr per Video überwacht. Doch bald stellte er fest, dass die Bilder oft stockten. Messungen bestätigten: Die Leitung lieferte nur rund 400 Mbit/s – das sind bloss 4 Prozent der versprochenen Leistung.
Böhm verhandelte rund ein Jahr mit Yallo. Zunächst erfolglos. Als der K-Tipp intervenierte, schickte Yallo einen Techniker vorbei. Er stellte eine maximale Kapazität von 1 Gbit/s fest. Der Kundendienst von Sunrise meinte dazu nur: «Die Leitung wird auf der letzten Meile auf 32 Anschlüsse aufgeteilt. Sie erhalten mehr als 200 Mbit pro Sekunde und haben somit Glück, dass die Leitung nicht komplett belegt ist.»
Ombudsmann gibt dem Kunden recht
Das wollte Böhm nicht hinnehmen. Deshalb wandte er sich an die Ombudscom, die Schlichtungsstelle der Telecombranche. Fazit des Ombudsmanns Oliver Sidler: «Grundsätzlich erachtet der Ombudsmann eine dauerhafte Einbusse von mehr als einem Drittel als Grund für eine Abonnementsreduktion oder eine vorzeitige Kündigung ohne Kostenfolge.» Sidlers Schlichtungsvorschlag: Yallo soll Böhm entweder sämtliche Gebühren erlassen, ihm die gewünschte Geschwindigkeit liefern oder ihn aus dem Vertrag entlassen.
Yallo war nur bereit, die Hälfte der Gebühren zurückzuerstatten. Böhm akzeptierte und stieg aus dem Vertrag aus. Yallo sagt dazu: «Wir haben keine Möglichkeit, die Geschwindigkeit zu erhöhen.» Denn die Leitung werde von der Swisscom bereitgestellt. Das ist nur die halbe Wahrheit. Sunrise hat wie alle anderen Telecomfirmen sehr wohl Einfluss darauf, wie schnell ihre Kunden surfen können. Und zwar, indem sie festlegen, wie stark sie die Internetleitungen belasten.
Kapazität auf zu viele Kunden aufgeteilt
Das zeigt ein Blick in verschiedene Glasfaserzentralen. Dort werden die Glasfasern in die verschiedenen Haushalte verteilt. Alle Telecomfirmen haben Kästen mit Anschlüssen. Der K-Tipp zählte vor Ort anhand der jeweils angeschlossenen Kabel aus, auf wie viele Kunden die Firmen die vorhandene Internetkapazität aufteilen. Beispiele: Sunrise schaltete in Winterthur auf eine Kapazität von 10 Gbit/s nicht weniger als 640 Kunden. Salt liess in Genf gar 4000 Kunden auf eine Kapazität von 40 Gbit/s schalten.
Fredy Künzler ist Geschäftsführer des Internetanbieters Init7. Für den Netzwerkspezialisten ist klar: «Mit solchen Überbuchungen gehen die Telecomfirmen über das verträgliche Mass hinaus.» Bei Init7 würden sich maximal 50 Kunden eine Kapazität von 10 Gbit/s teilen – und nicht wie bei Salt bis 1000. Wären beim Beispiel von Salt alle 4000 Kunden gleichzeitig online, hätte der einzelne Kunde rein rechnerisch statt 10 Gbit/s nur 10 Mbit/s zur Verfügung – also nur noch einen Tausendstel. Das reicht bestenfalls noch für einen Video-Stream. Künzler ergänzt: «Das spürt der Kunde. In der Spitzenzeit am Sonntagabend sieht er gelegentlich Pixelbrei statt HD-Qualität.»
Auf das Beispiel Genf angesprochen, bestreitet Salt, gegenüber dem K-Tipp, dass die Kunden schlechtere Qualität erhalten: «Wir messen den Verbrauch dauernd, und die rund 4000 Kunden in Genf brauchen nur rund die Hälfte der Kapazität», sagt Salt. Werde mehr gebraucht, liefere man auch mehr Leistung.
Zur Infrastruktur der Swisscom hatte der K-Tipp keinen Zugang. Die Swisscom gibt gegenüber dem K-Tipp zu, dass auch sie ihre Leitungen überbucht. Wie stark, will sie jedoch nicht sagen: «Das ist Geschäftsgeheimnis.» Auch Sunrise nennt keine Zahlen.
Klar ist nur: Wer bei einem Schweizer Internetanbieter für eine 10-Gbit/s- Verbindung zahlt, weiss nicht, wie viel Leistung er zu Hause tatsächlich erhält. Auf die Angaben in den Verträgen ist kein Verlass.
So können Sie sich wehren
Wer den Verdacht hegt, seine Internetleitung sei zu langsam, kann einen Selbsttest durchführen. Das geht so:
- Trennen Sie alle Geräte vom Router und schliessen Sie Ihren Computer oder Laptop per Ethernetkabel direkt an den Router an. Der Grund: Messungen per kabelloses WLAN sind nicht verlässlich.
- Starten Sie den Laptop neu und öffnen Sie einen Browser für den Zugang ins Internet.
- Geben Sie im Suchfeld des Browsers www.speedtest.net ein und klicken Sie auf «Go». Das Messen der Internetgeschwindigkeit beginnt.
- Messen Sie zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten, über mehrere Wochentage verteilt.
- Liegen die Resultate tiefer als im Vertrag versprochen, kontaktieren Sie Ihren Internetanbieter.
- Finden Sie keine Einigung, wenden Sie sich an die Ombudscom (Tel. 031 310 11 77 oder www.ombudscom.ch).