Irrtümlich betrieben
In der Schweiz kann jeder jeden betreiben - ohne Grund. Zieht der Gläubiger die Betreibung nicht zurück, bleibt der vermeintliche Schuldner angeschwärzt. Das muss sich ändern, fordert ein Experte.
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K-Tipp 18/2004
03.11.2004
Thomas Müller - tmueller@ktipp.ch
Fast 40 Jahre lang hatte Firmeninhaber Peter Gächter aus Balgach SG geschäftet, ohne je betrieben worden zu sein. Dann, zwei Tage vor seinem 65. Geburtstag, brachte ihm der Pöstler aus heiterem Himmel einen Zahlungsbefehl über 56 000 Franken. Absender: das Lausanner Inkassobüro Pem SA im Auftrag des Champagnerproduzenten Moët Hennessy.
«So viel Champagner hatte ich für meinen Geburtstag sicher nicht bestellt», scherzt Gächter. In der Tat: Das Inkassobüro, das zum Verban...
Fast 40 Jahre lang hatte Firmeninhaber Peter Gächter aus Balgach SG geschäftet, ohne je betrieben worden zu sein. Dann, zwei Tage vor seinem 65. Geburtstag, brachte ihm der Pöstler aus heiterem Himmel einen Zahlungsbefehl über 56 000 Franken. Absender: das Lausanner Inkassobüro Pem SA im Auftrag des Champagnerproduzenten Moët Hennessy.
«So viel Champagner hatte ich für meinen Geburtstag sicher nicht bestellt», scherzt Gächter. In der Tat: Das Inkassobüro, das zum Verband Creditreform gehört, hatte Gächters Firma mit einem anderen Unternehmen gleichen Namens verwechselt.
Opfer eines Irrtums wurde auch Tobias Frey aus Aeugst ZH. Ihn betrieb die Inkasso Arena AG für rund 900 Franken, die er der Telekomfirma Sunrise schulden sollte. Bloss: Frey war dort gar nie Kunde.
«Dass Inkassobüros den Falschen betreiben, kommt relativ oft vor», kommentiert ein Branchen-Insider. «Solche Büros erhalten von Grosskunden nicht selten 10 000 Fälle aufs Mal. Häufig werden die Adressen nicht mehr überprüft, dann sind Fehler programmiert.»
Für grundlos Betriebene ist das zunächst einmal peinlich. «Ich hätte im Boden versinken können, weil ich den Pöstler, der mir den Zahlungsbefehl überbrachte, persönlich kenne», erzählt Peter Gächter. Hinzu kommt: Auch irrtümliche Betreibungen - und sogar reine Schikanebetreibungen - werden ins Betreibungsregister eingetragen, in das praktisch jeder Einsicht nehmen kann.
Rechtsvorschlag erheben
Nachteilig kann das vor allem sein, wenn man eine Wohnung mieten, einen Kredit aufnehmen oder ein Auto leasen will. Vermieter, Banken und Leasingfirmen werden unweigerlich auf den Eintrag stossen, wenn sie die Zahlungsfähigkeit überprüfen.
Was also tun, wenn man grundlos betrieben wird? Unbedingt Rechtsvorschlag erheben und vom Gläubiger respektive vom Inkassobüro verlangen, dass die Betreibung beim Betreibungsamt schriftlich zurückgezogen wird. Denn ein Rückzug hat laut Gesetz zur Folge, dass der Registereintrag «gelöscht», Dritten also nicht mehr bekannt gegeben wird.
Stellt sich der Gläubiger allerdings quer, wird es für den Schuldner mühsam. Er müsste das Nicht-Bestehen der Schuld gerichtlich feststellen lassen - ein teures Unterfangen, das schon vor der ersten Instanz ein bis zwei Jahre dauern kann.
Deshalb fordert der Chef des Betreibungsamts Zürich 5, Thomas Zeller, dass eine Betreibung nur noch im Registerauszug erscheinen soll, wenn der Gläubiger sie innert eines Jahres seit Zustellung des Zahlungsbefehls weiterverfolgt, indem er den Streit vor Gericht bringt. «Unternimmt der Gläubiger hingegen nichts, um den Rechtsvorschlag zu beseitigen, sollte die Betreibung gelöscht werden», schrieb Zeller diesen Sommer in der Juristenzeitschrift «Plädoyer».
Schadenersatz für die Unkosten
Tobias Frey und Peter Gächter sind zum Glück nicht auf eine rasche Umsetzung dieses Vorschlags angewiesen: Die betreffenden Inkassobüros haben eingelenkt und die Betreibung freiwillig zurückgezogen.
Für ihre Unkosten wie Briefporto und Telefonspesen - nicht aber für den Ärger - haben die zu Unrecht Betriebenen übrigens Schadenersatz zugut. Gächter erhält ihn voraussichtlich in flüssiger Form: Bei Redaktionsschluss stand eine Flasche Champagner zur Diskussion.
Neugier allein genügt nicht
Die Betreibungsämter sind beim Erteilen von Auskünften unterschiedlich streng.
Wer eine Betreibungsauskunft wünscht, muss laut Gesetz «ein Interesse glaubhaft machen». Das Zürcher Obergericht hat Anfang Oktober entschieden, dass dafür ein Vertrag, der nur vom Auskunftsuchenden unterschrieben ist, nicht genügt. Auch blosse Neugier reicht nicht.
Allerdings sind nicht alle Betreibungsämter gleich streng. Einige geben sogar telefonisch Auskunft - vor allem an Banken, Versicherungen und Leasingfirmen.
Wer will, kann einen Registerauszug über sich selber verlangen - zum Beispiel um zu prüfen, ob eine irrtümliche Betreibung tatsächlich gelöscht wurde. Dafür muss man entweder persönlich beim Betreibungsamt seiner Wohngemeinde vorbeigehen (Pass oder ID sowie den Schriftenempfangsschein mitnehmen) oder ein schriftliches Gesuch stellen (Ausweiskopien beilegen).
Ein Auszug enthält nur Betreibungen in der aktuellen Wohngemeinde der betreffenden Person während der letzten drei Jahre. Eine summarische Auskunft ohne Angabe der Gläubigernamen kostet 17 Franken plus Porto.