Ist bald Schluss mit Easy Cash für Fernsehsender?
Sat1 und Co. lassen ihre Zuschauer auf teure 0901er-Nummern anrufen. Doch wer eine Rätsel-Lösung durchgeben will, hört meist ein Tonband. Mit teuren Folgen, denn auch vergebliche Versuche kosten.
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K-Tipp 2/2005
26.01.2005
Thomas Müller - tmueller@ktipp.ch
Anrufen, anrufen, anrufen - kommt Leute, jetzt ganz schnell, oder sollen wir das viele Geld einfach für uns behalten?» So oder ähnlich animieren Moderatoren verschiedener TV-Stationen ihre Zuschauer zum Mitspielen. Zu gewinnen gibts Beträge bis 30 000 Franken. Dafür gilt es, eine eingeblendete Aufgabe zu lösen und die Lösung auf eine kostenpflichtige 0901er-Nummer durchzugeben.
Viele Zuschauer, vor allem junge, lassen sich da nicht lange bitten. Zum Beispiel Mirco Statuto a...
Anrufen, anrufen, anrufen - kommt Leute, jetzt ganz schnell, oder sollen wir das viele Geld einfach für uns behalten?» So oder ähnlich animieren Moderatoren verschiedener TV-Stationen ihre Zuschauer zum Mitspielen. Zu gewinnen gibts Beträge bis 30 000 Franken. Dafür gilt es, eine eingeblendete Aufgabe zu lösen und die Lösung auf eine kostenpflichtige 0901er-Nummer durchzugeben.
Viele Zuschauer, vor allem junge, lassen sich da nicht lange bitten. Zum Beispiel Mirco Statuto aus Frauenfeld: «Ich sah die Sendung "Easy Cash" auf Viva TV und glaubte zu wissen, welche der gezeigten Lippen zu einer bestimmten Person gehören. Meine Anrufe landeten jedoch immer auf einem Band - also drückte ich jeweils die Repeat-Taste.»
Zeugnis dieses nächtlichen Exzesses liefert seine Telefonrechnung: 323-mal innerhalb von 65 Minuten hatte Statuto die 0901er-Nummer angerufen - und jeder Anruf wurde mit Fr. 1.50 verrechnet. Denn bei TV-Gewinnspielen zahlt auch, wer nur die Textansage «uhh, Pech gehabt, versuchen Sie es doch gleich noch einmal» zu hören bekommt.
Über 550 Franken für vergebliche Versuche
Mit seiner hohen Telefonrechnung über 550 Franken ist Mirko Statuto nicht allein. Dem K-Tipp liegt ein halbes Dutzend weiterer Fälle vor, in denen Spielernaturen innert weniger Tage zwischen 300 und 600 Franken vertelefoniert haben - oft ohne sich bewusst zu sein, dass auch vergebliche Anrufe den vollen Preis kosten.
Darüber ärgert sich auch I. M. aus Zürich, die bei der Sat1-Sendung «Play and Win» mit 90 Anrufen 135 Franken in den Sand setzte: «Die Mitmach-Sender ködern Zuschauer mit vermeintlich einfachen Fragen und gaukeln ihnen vor, sie würden bei einem Anruf direkt mit der Moderatorin verbunden. Das ist doch fiese Abzockerei.»
Hinzu kommt: Bei einfachen Aufgaben stellt der Zufallsgenerator nur sporadisch einen Anrufer ins Studio durch, während bei schwierigen Rätseln alle paar Sekunden jemand seine - in der Regel falsche - Lösung nennen darf.
So wundert es nicht, dass das Geschäft mit den so genannten «Call-in-Sendungen» läuft wie geschmiert. Und zwar nicht nur bei den betreffenden Sendern Sat1, Viva TV, Star TV, 9Live, Kabel 1 und DSF, sondern auch bei der Firma Voice Publishing in Rümlang ZH, welche die Mitmach-Sendungen «Play and Win» für Sat1 und «Easy Cash» für Viva TV produziert. Deren Chef ist der ehemalige Fernsehmann Jürg Wildberger.
Über Zahlen will zwar niemand reden. Bekannt ist aber, dass allein bei 9Live monatlich rund 20 Millionen Anrufe eingehen. Selbst die sonst eher zurückhaltende «NZZ» sprach deshalb unverblümt von «TV-Kassiermaschinen».
Kanton Zürich will Strafanzeige erstatten
Doch nun könnte schon bald Sand ins Getriebe dieser Maschinen kommen. Denn die Direktion für Soziales und Sicherheit des Kantons Zürich will demnächst eine Strafanzeige einreichen, wie ihr juristischer Sekretär Peter Schärer bestätigt: «Wir sind der Meinung, dass ein Verstoss gegen das Lotteriegesetz vorliegt.»
Der Hintergrund: Lotterien sind in der Schweiz grundsätzlich verboten. Das gilt auch für «Preisausschreiben und Wettbewerbe jeder Art, an denen nur nach Leistung eines Einsatzes teilgenommen werden kann, und bei denen der Erwerb der ausgesetzten Gewinne wesentlich vom Zufall oder von Umständen abhängt, die der Teilnehmer nicht kennt».
Hintertürchen dank Bundesgericht
Knackpunkt ist der Einsatz, den ein Mitspieler leisten muss. Darunter fällt laut Bundesgericht alles, was die Kosten für das Übermitteln der Wettbewerbslösung übersteigt - also auch der so genannte Anbieteranteil der 0901er-Nummern. Denn bei solchen Nummern zahlt der Anrufer ja nicht nur die normale Telefongebühr, sondern auch einen Zuschlag, der an den Inhaber der Nummer geht.
So gesehen wären die fraglichen Gewinnspiele also verboten. Das Bundesgericht liess allerdings ein Hintertürchen offen: Hat der TV-Zuschauer die Wahl, «auch ohne Einsatz mit gleichen Gewinnaussichten mitzumachen», fällt das Spiel nicht unters Lotteriegesetz.
Durch dieses Türchen versuchen die TV-Verantwortlichen einer Verurteilung zu entgehen - indem sie eine Gratis-Teilnahme per Postkarte anbieten. Wer will, kann sich auf diesem Weg für das Mitspielen in einer späteren Sendung anmelden, in der er dann - falls ihm das Losglück hold ist - vom Moderator angerufen wird.
Bloss: Nach Ansicht von zwei unabhängigen Experten ist das keine gleichwertige Teilnahme, wie sie das Bundesgericht verlangt. «Man kann mit einer Postkarte ja nicht in eine Live-Sendung eingreifen», moniert Reto Brand, Leiter der Sektion Lotterien und Wetten beim Bundesamt für Justiz. «Falls der Moderator anruft, geht es um einen anderen Gewinn und um ein anderes Rätsel, dessen Lösung der Postkarteneinsender - sofern er überhaupt zu Hause ist - vielleicht nicht kennt.»
Postkartentrick, um Gesetz zu umgehen
Auch Peter Schärer wird seine Anzeige unter anderem damit begründen, «dass von gleichen Gewinnchancen wie bei einem Anruf auf eine 0901er-Nummer keine Rede sein kann». Der Postkartentrick sei ein «untauglicher Versuch, das Lotteriegesetz zu umgehen». Der endgültige Entscheid, betonen beide Fachleute, liege aber bei den Gerichten.
Sat1, Viva TV und ihr Produzent Voice Publishing weisen den Vorwurf der Gesetzesverletzung vehement zurück. Sie bestehen darauf, dass der Postkartenweg den bundesgerichtlichen Anforderungen für eine chancengleiche Teilnahme ohne Spieleinsatz genügt. Zudem halten sie fest: Die Bezirksanwaltschaft Zürich habe im Jahr 2001 in einem vergleichbaren Fall das Verfahren eingestellt. Die entsprechende Verfügung wollten sie dem K-Tipp aber nicht zeigen.
Star TV weist darauf hin, der Postkarteneinsender wisse, für welche Sendung er sich anmelde, nämlich immer für jene am folgenden Montag. DSF betont, man habe die «rechtliche Unbedenklichkeit mehrfach geprüft und festgestellt».
Am besten: Nummer sperren lassen
Damit Fernsehzuschauer wenigstens genau wissen, wie viel ein Anruf kostet, hat das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) ein Widerrufsverfahren zu mehreren 0901er-Nummern von Voice Publishing eingeleitet. Der Vorwurf: Telefonnummer und Preis seien in Sendungen von Sat1 und Viva TV nicht wie vorgeschrieben in der gleichen Schriftgrösse eingeblendet worden.
Laut Voice-Publishing-Verwaltungsratspräsident Andreas Auerbach wurde die Schriftgrösse inzwischen angepasst. «Die Preisangabe war aber schon vorher sehr gut lesbar», versichert er.
Wer generell verhindern will, dass von seinem Anschluss aus auf 0901er-Nummern telefoniert wird, kann diese (zusammen mit den 0900er- und 0906er-Nummern) bei seiner Telefongesellschaft sperren lassen. Der Service ist gratis.
Intransparent - und häufig sind die Rätsel kaum lösbar
Unklare Spielregeln, nicht nachvollziehbare Lösungen: TV-Sender lassen Zuschauer im Dunkeln.
«Das ist Bauernfängerei, der Anrufer erhält keine faire Chance», beklagen sich empörte TV-Zuschauer beim K-Tipp. Solchen Vorwürfen ist das ARD-Magazin «Plusminus» nachgegangen. Es zeichnete während 60 Stunden das Programm des Senders 9Live («Deutschlands erster Quizsender») auf. Der Sender ist in der Schweiz über Satellit und einige Kabelnetze zu empfangen.
«Zählen Sie alle Tiere in diesem Text», forderte der 9Live-Moderator seine Zuschauer etwa auf. Die Aufgabe hatte es in sich, denn auch zwei Stunden später hatte noch kein Zuschauer die richtige Lösung gefunden. Der Sender löste das Rätsel am Ende auch nicht sofort auf. Erst nach weiteren zehn Minuten, in denen den Zuschauern weitere Spiele präsentiert wurden, blendete er die angeblich richtige Lösung von 595 ein.
«Plusminus» vermutet, dass man bei solchen Rätseln auch rückwärts und über Satzzeichen hinweg lesen muss. Doch selbst dann sind die Lösungen kaum nachvollziehbar. Die TV-Sender waren auch nicht bereit, dem K-Tipp die Lösungswege bekannt zu geben.
Bei einem anderen aufgezeichneten Spiel gab 9Live nicht einmal die Auflösung bekannt. Weitere vermeintlich einfache Aufgaben konnten während mehrerer Stunden von keinem der über 200 Anrufer gelöst werden. Bei einem der Rätsel kam «Plusminus» sogar zum Schluss, es sei «nicht lösbar» - und fragte: «Ist der Quizsender in Wirklichkeit ein Abzocksender?»
«Weil immer eine Tonbandansage kam, drückte ich jeweils die Repeat-Taste - 323-mal. Das kostete jedes Mal Fr. 1.50»
Mirco Statuto