Die Türen des Bahnhofs Herzogenbuchsee BE sind geschlossen, der Schalterraum ist leer. Anfang Juli machten die SBB den Bahnschalter in dem Ort mit rund 8000 Einwohnern dicht. Über 2000 Personen und alle Ortsparteien hatten eine Petition zum Erhalt des Schalters unterstützt.
Gemeindepräsident Markus Loosli (GLP) sagt: «Die SBB zogen die Schliessung einfach durch. Wir sind ernüchtert.»
Herzogenbuchsee ist nur ein Fall von vielen: In der Schweiz gab es im August 2020 noch 350 Bahnhöfe mit bedienten Schaltern von verschiedenen Bahnunternehmen wie SBB, Südostbahn und Rhätische Bahn. Heute gibt es nur noch 321 Bahnhöfe mit Schalterpersonal – also 29 weniger (siehe Liste).
Die SBB bauen seit einigen Jahren Standorte ab. 2002 betrieben sie noch an 334 Bahnhöfen Schalter. Verblieben sind 142 – weniger als die Hälfte.
Die Bahnfirmen gehören entweder der Eidgenossenschaft oder den Kantonen, also allen Steuerzahlern. Die Unternhemen argumentieren: Kunden würden Billette heute fast nur noch mit der Smartphone-App oder an Billettautomaten kaufen. Was die Bahnfirmen, die eigentlich dem Service public verpflichtet wären, nicht sagen: Reisende erhalten kostenlose Beratung zu Abos und internationalen Reisen nur am Bahnschalter. Auch die Aufgabe von Gepäck und Velos ist nur dort möglich. Und auch gewisse Billette sind nur am Schalter erhältlich, etwa kurzfristige Veloreservationen für internationale Züge.
SBB: Öffnungszeiten rigoros gekürzt
Der Serviceabbau zeigt sich auch bei den Öffnungszeiten: Die Bahnunternehmen kürzten diese bei den bedienten Schaltern rigoros.
Der K-Tipp verglich die aktuellen Schalteröffnungszeiten mit denen im August 2020. Ergebnis: An 135 der heute 321 bedienten Bahnhöfe sind die Billettschalter weniger lange geöffnet als noch vor zwei Jahren: Im Durchschnitt 9 Stunden weniger pro Woche, also nur noch 60 statt 69 Stunden.
- Die SBB kürzten die Öffnungszeiten besonders oft: an 81 von noch 142 bedienten Bahnhöfen. Das heisst: Der Service verschlechterte sich an fast 60 Prozent der Bahnhöfe.
- Die Südostbahn verkürzte die Schalteröffnungszeiten an allen 7 bedienten Bahnhöfen – und zwar bis 20 Prozent.
- Die Rhätische Bahn baute an 8 von 17 Bahnhöfen ab. In Pontresina etwa ist der Schalter 23 Stunden weniger lang offen als früher.
Ein besonders krasses Beispiel: In Arbon TG ist der SBB-Schalter pro Woche rund 23 Stunden weniger lang geöffnet als früher. Vizestadtpräsident Didi Feuerle (Grüne) kritisiert, dass die SBB vor Ort auch keine Schliessfächer und keine Gepäckaufgabe mehr anbieten würden sowie einen von einst zwei Billettautomaten entfernt hätten. «Irgendwann einmal muss beim Abbau Ende der Fahnenstange sein», sagt Didi Feuerle.
Die SBB schreiben dem K-Tipp, die Kundennachfrage nach persönlicher Beratung habe an kleineren Bahnhöfen stark abgenommen. Und dank den kürzeren Öffnungszeiten könne man auch mehr Mitarbeiter für die Beratung während den Schalterstunden sowie an grösseren Bahnhöfen einsetzen.
Der Bund als Eigentümer lässt den SBB freie Hand. Das Verkehrsdepartement von Bundesrätin Simonetta Sommaruga schreibt dem K-Tipp: Der Bundesrat wolle den SBB keine Vorschriften machen. Die Entscheide zur Schliessung von Bahnschaltern und zu den Öffnungszeiten gehörten zu den «operativen Aufgaben» der SBB.
Die Berner BLS ist kundenfreundlicher
Doch der Serviceabbau müsste nicht sein, wie das Beispiel der Berner BLS zeigt. Hier wurden fast keine Öffnungszeiten gekürzt. An 21 der 22 Bahnhöfe liess die BLS die Öffnungszeiten im Vergleich zu 2020 gleich. Einzig in Ins BE kürzte sie die Zeiten.
Die BLS schreibt: «Der direkte Kundenkontakt am bedienten Schalter ist nach wie vor sehr wichtig.» Die Nachfrage nach Beratung habe sogar zugenommen – zum Beispiel in den frühen Abendstunden.
Auch die SBB könnten sich den Schalterservice weiterhin gut leisten. Sie schlossen ihre Jahresrechnung vor der Coronapan- demie mit hohen Gewinnen ab: 2019 waren die Bundesbahnen 568 Millionen Franken im Plus (K-Tipp 10/2019).
Der K-Tipp weiss: Der neue BLS-Geschäftsführer Daniel Schafer macht sich für die bedienten Verkaufsstellen an Bahnhöfen stark. Im Gegensatz zu SBB-Chef Vincent Ducrot, der die Schalter offenbar für weniger wichtig hält.
Schalterabbau seit August 2020
Deutschschweizer Bahnhöfe mit geschlossenen Schaltern
- Andelfingen ZH
- Au ZH
- Bad Ragaz SG
- Bassersdorf ZH
- Bonaduz GR
- Cham ZG
- Dietlikon ZH
- Grindelwald Grund BE
- Herzogenbuchsee BE
- Hinwil ZH
- Kerzers FR
- Kleine Scheidegg BE
- Kloten ZH
- Lenk im Simmental BE
- Männedorf ZH
- Oberwinterthur ZH
- Ostermundigen BE
- Saanen BE
- Wollerau SZ
Bahnhöfe mit stark gekürzten Öffnungszeiten (Auswahl)
- Dübendorf ZH (– 29,5 Stunden pro Woche)
- Regensdorf-Watt ZH (– 27,5)
- Wald ZH (– 26,5)
- Ziegelbrücke SG (– 24,5)
- Bonstetten-Wettswil ZH (– 24,25)
- Pontresina GR (– 23,3)
- Arbon TG (– 22,5)
- Wallisellen ZH (– 22,5)
- Küsnacht ZH (– 22)
- Tramelan BE (– 20,4)
- Reinach AG (– 20)
- Samedan GR (– 20)