Kampf um jeden Kunden
In der Schweiz grassiert die Aktionitis. Den Kampf um Käufer und Umsätze wird von den Grossverteilern mit der Preiskeule ausgetragen. Die Kunden greifen zwar zu - doch lieber hätten sie dauerhaft günstige Preise.
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K-Tipp 7/2003
09.04.2003
Markus Kellenberger - mkellenberger@ktipp.ch
Die Grossverteiler, allen voran Coop und Migros, überbieten sich geradezu mit Wochenaktionen, Preisabschlägen, Halbpreis-Angeboten, Profitierbons für bestimmte Waren, Rabatten, Super- und Cumuluspunkten. Und als wäre das alles nicht schon genug, haut die Migros seit dieser Woche mit so genannten «Hammeraktionen» zusätzlich einen drauf. Es herrscht Aktionitis wie nie zuvor.
Dass dem so ist, bestätigen Marktforscher und Handelsexperten wie Samuel Dubno vom Gottlieb Duttweile...
Die Grossverteiler, allen voran Coop und Migros, überbieten sich geradezu mit Wochenaktionen, Preisabschlägen, Halbpreis-Angeboten, Profitierbons für bestimmte Waren, Rabatten, Super- und Cumuluspunkten. Und als wäre das alles nicht schon genug, haut die Migros seit dieser Woche mit so genannten «Hammeraktionen» zusätzlich einen drauf. Es herrscht Aktionitis wie nie zuvor.
Dass dem so ist, bestätigen Marktforscher und Handelsexperten wie Samuel Dubno vom Gottlieb Duttweiler Institut GDI. «Die Wirtschaftslage ist schlecht und die Preissensibilität der Konsumenten gestiegen», erklärt Dubno. «In diesem Umfeld wollen die Händler Umsatzeinbrüchen entgegenwirken, indem sie mit Aktionen Kunden in die Läden locken.» Mit andern Worten: Es tobt ein harter Kampf um Käufer und Marktanteile - und der wird hauptsächlich über den Preis ausgetragen. Mit Erfolg, denn rund 80 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten legen bei fast jedem Einkauf Aktionswaren ins Körbchen. Das zeigt eine im Auftrag des K-Tipp gemachte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Link.
Aber: Zwei Drittel der Befragen hätten lieber konstante Tiefpreise als Aktionen. Thomas Rudolph, Direktor des Instituts für Marketing und Handel an der Uni St. Gallen, überrascht das nicht. Im Gegenteil: «Dieses Resultat deckt sich mit Studien, die ich vor fünf Jahren in der Schweiz, England, und Deutschland machte.»
Bei Aktionen zwar zugreifen, aber eigentlich lieber darauf verzichten wollen - ist das ein Widerspruch im Verhalten der Konsumenten? «Nein», meint Jacqueline Bachmann von der Stiftung für Konsumentenschutz SKS, «sondern eher eine Bestätigung für das Diktat des Marktes.» Die Leute hätten ja keine Wahl. «Wer auf Aktionen verzichtet, zahlt bei jedem Einkauf drauf.»
Kommt dazu: Ein günstiger Kauf ist wie ein kleiner Lottogewinn und löst beim Konsumenten Glücksgefühle aus, die ihn vorübergehend vergessen lassen, dass ihm ständige Tiefpreise eigentlich lieber wären. Das geht aus der aktuellen Umfrage «More for Less» hervor, die das Institut Fuhrer & Hotz für das das Schweizerische Marketing-Forum gemacht hat.
Coop und Migros, die gemeinsam weit über die Hälfte des Schweizer Detailhandels kontrollieren, nützen das für ihren Konkurrenzkampf weidlich aus. Beim Wettstreit um die Gunst der Käufer setzen beide fast nur noch auf die Lockwirkung von Sonderangeboten, «da die Kunden von solchen Aktionen gerne bewusst profitieren», wie es Coop-Pressesprecher Karl Weisskopf ausdrückt. Die Begründung der Migros klingt trockener: «Ein Teil der Kunden lässt sich in der Wahl der Einkaufsstätte über attraktive Aktionen beeinflussen.»
Das Nachsehen haben zuerst kleinere Ketten wie Primo, Vis-à-Vis und Volg. Den mindestens 700 Millionen Franken, die die Branchenführer Coop und Migros zusammen jährlich in die Werbung stecken, haben sie deutlich weniger entgegenzusetzen. Folge: Ihre Kundschaft wandert dorthin ab, wo ihr die besseren Schnäppchen versprochen werden.
Aber auch Billig-Anbieter wie Carrefour und Denner bringt die galoppierende Aktionitis in Bedrängnis. Beide möchten den Kundenwunsch nach ständigen Tiefpreisen erfüllen - aber auf Sonderangebote können sie nicht verzichten. «Wir würden unnötig Kunden verlieren», schätzt Lukas Brühwiler von Denner. Und Carrefour-Sprecher Peter Stefani klagt: «Der Schweizer ist ein Aktionsmensch geworden.»
Konsumenten als «Smart-Shopper»
Dieser Meinung ist auch Samuel Dubno vom GDI. «Die Anbieter haben die Konsumenten mittlerweile zu so genannten Smart-Shoppern erzogen», sagt er. Weniger elegant ausgedrückt: Sie werden auf Aktionen konditioniert.
Vorläufig profitieren die Halbpreis-Jäger davon, denn Preishits gehen derzeit noch zu Lasten der Produktehersteller. «Langfristig jedoch», warnt Dubno, «wird den Konsumenten die Rechnung für den Preiskrieg präsentiert.» Marktforscher sehen dafür mehrere Gründe:
- Die Preistransparenz wird verunmöglicht. «Wegen der ständigen Aktionen weiss am Ende niemand mehr, was die Waren wirklich kosten», sagt Dubno. Preiserhöhungen, speziell nach kurzfristig gesenkten Preisen und Lockangeboten wie «3 für 2», fallen dem Kunden nicht mehr auf. Verteiler wie Coop, die ihre Preise nur noch am Regal anschreiben, verschärften das Problem zusätzlich.
- Das Qualitätsbewusstsein geht verloren. «Wenn der Konkurrenzkampf nur noch über den Preis geht, spielen Faktoren wie Qualität, Marke und Umweltverträglichkeit beim Kaufentscheid eine immer unwichtigere Rolle», fürchtet Thomas Rudolph von der Uni St. Gallen.
- Die Zahl der Anbieter wird kleiner, denn beim aktuellen Aktionskrieg wird es laut Rudolph Sieger und Verlierer geben. Marktbeobachter fürchten, dass dann die Konzentration im Detailhandel und somit die Abhängigkeit der Konsumenten von we-nigen Anbietern weiter zunimmt. Bereits jetzt steht die Schweiz mit den beiden marktbeherrschenden Riesen Coop und Migros in Europa einzigartig da.
Noch etwas stützt die Prognose der Fachleute: Die Aktionitis ist schwer zu kurieren - wer anfängt, der Konkurrenz mit Aktionen Kunden abzuwerben, darf damit so schnell nicht wieder aufhören, sonst bricht der Umsatz zusammen. Aus diesem Teufelskreis gibt es nur einen Ausweg. Jacqueline Bachmann von der SKS: «Die Grossverteiler sollen endlich ihre Kunden ernst nehmen und ständige Tiefpreise auf europäischem Niveau einführen.» Die Konsumenten wüssten es zu schätzen, wie die K-Tipp-Umfrage zeigt.
Repräsentative K-Tipp-Umfrage
Das halten Schweizer Konsumenten von Aktionen
85 Prozent der Schweizer Konsumenten lieben Aktionen. Trotzdem würden zwei Drittel konstant tiefe Preise vorziehen.
Sind Herr und Frau Schweizer Fans von Aktionen? Oder hätten sie statt Aktionen lieber generell tiefere Preise?
Der K-Tipp hat das Luzerner Link Institut für Markt- und Sozialforschung mit einer repräsentativen Umfrage beauftragt. Link hat bei 602 Personen in der Deutsch- und Westschweiz nachgefragt. Der Untersuchungszeitraum war Ende März bis Anfang April 2003.
Dass den Konsumenten zwei Seelen in der Brust schlagen, zeigte sich bei den Antworten auf die dritte Frage: Obschon 85 Prozent Fans von Aktionen sind, würden 62 Prozent «konstant tiefere Preise» den Aktionsangeboten vorziehen.
(pag)
Frage 1: Die Lebensmittel-Grossverteiler machen immer wieder Aktionen. Wie finden Sie Aktionen?
Sehr gut - 36,1 %
ziemlich gut - 48,6 %
weniger gut - 6,1 %
gar nicht gut - 2,2 %
weiss nicht/keine Antwort - 6,9 %
Frage 2: Berücksichtigen Sie beim Einkaufen bei den Grossverteilern Aktionsangebote?
Immer - 23,5 %
Gelegentlich - 56,9 %
Selten - 12,5 %
Nie - 5,6 %
kaufe nie bei Grossverteilern ein - 0,7 %
weiss nicht/keine Antwort - 0,9 %
Frage 3: Angenommen, ein Grossverteiler würde wie bisher immer wieder Aktionen machen. Ein anderer Anbieter dagegen würde darauf verzichten, seine Preise dafür aber kostant tief halten. Was finden Sie besser?
Grossverteiler mit Aktionen wie bisher - 22,6 %
Grossverteiler ohne Aktionen -mit konstant tiefen Preisen - 62,3 %
finde beides gut - 7,9 %
finde beides nicht gut - 1,6 %
weiss nicht/keine Antwort - 5,6 %
Strassen-Umfrage zum Thema Aktionen
Stefan Büchi, Zürich
«Von Aktionen lasse ich mich hin und wieder inspirieren. Deshalb schätze ich dieses System.»
Ruth Strässler, Zollikon
«Ein Verzicht auf Aktionen würde einem einen Haufen Aufwand ersparen. Man müsste die Zeitungen nicht mehr nach Aktionsangeboten durchsuchen.»
Ida Renner, Zürich
«Ich habe mit Aktionsprodukten häufig schlechte Erfahrungen gemacht und traue der Ware nicht mehr. Mir wären deshalb generell tiefere Preise lieber.»
Marionna Schmid, Wetzikon
«Manchmal wird von einem Landwirtschaftsprodukt sehr viel produziert und man kann Aktionen machen. Das finde ich sinnvoll.»
Jonas Lorch, Mettmenstetten
«Bei Aktionen zieht man mich über den Tisch, weil sie in die Preise einkalkuliert sind. Aber ich kann ab und zu gute Ware günstig einkaufen.»
Kitty Goldner, Zürich
«Als Single bin ich an Aktionen nicht speziell interessiert. Mir ist es egal, ob ein Grossverteiler mit Aktionen arbeitet oder die Preise generell tiefer hält.»