Die Tochter einer Angestellten des Thurgauer Amts für Wirtschaft und Arbeit kam mehr als zwei Monate vor dem Termin zur Welt. Das Frühchen musste zwei Monate im Spital bleiben. Die Mutter schob den Mutterschaftsurlaub deshalb um diese acht Wochen auf. Das ist laut Gesetz möglich, sobald ein Neugeborenes länger als drei Wochen im Spital verbringen muss. Laut Bundesamt für Statistik kamen letztes Jahr von den 86 559 geborenen Kindern gut 6100 zu früh zur Welt.
Ein Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung besteht während des Aufschubs nicht. Denn der Mutterschaftsurlaub beginnt erst mit der Entlassung des Babys aus dem Spital. Die Ausgleichskasse zahlt dann während 14 Wochen 80 Prozent des bisherigen Lohns, maximal 196 Franken pro Tag.
Die Thurgauer Kantonsverwaltung verweigerte der jungen Mutter den Lohn für die Zeit des Aufschubs. Sie stützte sich auf eine Bestimmung in der Besoldungsverordnung. Darin heisst es: Bei einem Aufschub des Mutterschaftsurlaubs werde der bezahlte Urlaub unterbrochen. Für diese Zeitspanne werde nur ein unbezahlter Urlaub gewährt.
Verwaltungsgericht billigte Lohnstopp
Die Staatsangestellte wehrte sich gegen den Lohnstopp – und zwar bei der Personalrekurskommission und beim Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau. Beide liessen sie abblitzen.
Erst das Bundesgericht war anderer Meinung. Denn die Mutter war nach der Geburt gemäss Arztzeugnis während mehrerer Wochen arbeitsunfähig. Das Gericht hielt fest: Es gebe keinen Grund, arbeitsunfähige Mütter anders zu behandeln als kranke oder verunfallte Angestellte. Es hob deshalb die Bestimmung des Thurgauer Besoldungsreglementes auf und bejahte die Lohnzahlungspflicht des Kantons für die Zeit des Aufschubs des Mutterschaftsurlaubs (Urteil 8C_90/ 2016 vom 11. August 2016).
Kantonale Gerichte haben schon mehrmals Lohnklagen von jungen Müttern beurteilt. Dabei ging es nicht um Staatsangestellte, für die besondere Regeln gelten, sondern um Angestellte privater Unternehmen. Für Letztere bestimmt das Obligationenrecht, wann sie Anspruch auf Lohn haben.
Das Regionalgericht Bern-Mittelland beurteilte 2013 den Fall einer Frau, deren Tochter 14 Wochen zu früh geboren wurde und 10 Wochen im Spital bleiben musste. Es bejahte den Lohnanspruch der Mutter und begründete dies mit dem achtwöchigen gesetzlichen Arbeitsverbot, ihrer Arbeitsunfähigkeit, und für die Zeit danach mit ihrer notwendigen Präsenz im Spital, um das Baby zu betreuen. Ein Genfer Arbeitsgericht fällte 2008 ein ähnliches Urteil.
Viele Arbeitsrechtler sind der Ansicht, dass der Lohn während der Aufschubzeit in der Regel bezahlt werden muss. Der auf Arbeitsrecht spezialisierte Zürcher Anwalt Roger Rudolph spricht von einer «gefestigten Rechtsauffassung».
Lohn bei Aufschub nicht immer geschuldet
Ob und wie lange Arbeitgeber den Lohn während eines Aufschubs des Mutterschaftsurlaubs bezahlen müssen, hängt von der Dauer des Arbeitsverhältnisses ab. Je nach Kanton gelten unterschiedliche Skalen. Bei allen gilt: Je länger das Arbeitsverhältnis, desto länger die Lohnzahlungspflicht bei unverschuldeten Absenzen. Der Anspruch gilt jeweils für ein Dienstjahr. Das bedeutet: Wer während der Schwangerschaft einige Wochen arbeitsunfähig war, hat nach der Geburt bei Aufschub des Mutterschaftsurlaubs allenfalls keinen Lohnanspruch mehr.