Kasse kneift - Kunde ist machtlos
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K-Tipp 14/2002
04.09.2002
Krankheiten, die beim Abschluss einer Zusatzversicherung bestehen, sind nie versichert. Auch dann nicht, wenn sie der Kasse bei Vertragsbeginn bekannt waren.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Thomas Friedli füllte den Gesundheitsfragebogen für die Spital-Zusatzversicherung «Optima» sehr genau aus. Bei der Frage nach Erkrankungen der Atmungsorgane kreuzte er «Ja» an.
Weiter hinten präzisierte er, dass er unter einer «chronischen Sinusitis» - ei...
Krankheiten, die beim Abschluss einer Zusatzversicherung bestehen, sind nie versichert. Auch dann nicht, wenn sie der Kasse bei Vertragsbeginn bekannt waren.
Thomas Müller tmueller@ktipp.ch
Thomas Friedli füllte den Gesundheitsfragebogen für die Spital-Zusatzversicherung «Optima» sehr genau aus. Bei der Frage nach Erkrankungen der Atmungsorgane kreuzte er «Ja» an.
Weiter hinten präzisierte er, dass er unter einer «chronischen Sinusitis» - einer Nasennebenhöhlen-Entzündung - leide. Er sei deswegen in ärztlicher Behandlung. Friedli gab auch die Adresse seiner Ärztin bekannt.
Die Angaben ihres Kunden brachten die Krankenkasse Assura nicht ins Grübeln. Postwendend teilte sie ihm mit, er sei ab 1. Dezember 2000 halbprivat versichert. Einen Gesundheitsvorbehalt machte die Kasse nicht.
So weit, so gut. Weil aber die von der Ärztin verschriebenen Antibiotika nicht wirkten, musste Friedli seine Nase zwei Wochen nach der Aufnahme in die Zusatzversicherung operieren lassen. Seither ist er gesund.
In den falschen Hals geraten ist ihm jedoch die Haltung der Assura. Sie will nur Leistungen aus der Grundversicherung erbringen. Die Mehrkosten für die halbprivate Abteilung im Spital - immerhin rund 7000 Franken - soll Friedli selber berappen.
Der Zürcher fühlt sich verschaukelt: «Die Assura nahm mich im Wissen um meine Krankheit vorbehaltlos auf - und nun drückt sie sich.»
Auf Verständnis stösst Friedli beim Ombudsman der Sozialen Krankenversicherung, Gebhard Eugster: «Es kommt leider immer wieder vor, dass Versicherer ihre Kunden so in die Falle laufen lassen. Das ist unfair.»
Rechtlich aber, so der Ombudsman, sei Friedli am kürzeren Hebel: «Laut Artikel 9 des Versicherungsvertragsgesetzes lässt sich eine vorbestandene Krankheit gar nicht versichern.» Da nütze es auch nichts, wenn man die Krankheit im Gesundheitsfragebogen angegeben habe.
Schlimmer noch: Die Versicherung darf sogar dann kneifen, wenn der Kunde gar nichts von seiner Krankheit wusste, als er den Antrag ausfüllte.
Hat jemand beispielsweise einen angeborenen Herzfehler, der irgendwann zufällig entdeckt wird, muss eine allfällige Zusatzversicherung für die Herzbehandlung nichts zahlen. Sie kann geltend machen, die Krankheit habe schon beim Vertragsabschluss bestanden.
Die ganze Härte des Gesetzes bekam auch eine dreifache Mutter zu spüren, die im Januar 2001 bei ihrer Krankenkasse eine Spitalzusatzversicherung abgeschlossen hatte. Sie fühlte sich damals absolut gesund.
Acht Monate später bekam sie jedoch starke Rückenschmerzen und musste sich operieren lassen. Dabei stellte sich heraus, dass sie an Muskelschmerzen litt, die auf ihre drei Schwangerschaften zurückzuführen waren.
Die Kasse durfte sich weigern, Leistungen aus der Zusatzversicherung zu erbringen. Darüber sei die Frau «sehr überrascht» gewesen, schreibt Ombudsman Eugster in seinem neusten Tätigkeitsbericht.
Eine böse Überraschung könnte auch all jenen blühen, die einmal an einer Krankheit gelitten haben, die zu Rückfällen führen kann. Haben sie nach der ersten Erkrankung eine Zusatzversicherung abgeschlossen, sollten sie sich besser nicht auf deren Schutz verlassen.
Denn das Bundesgericht hat entschieden, «dass das erneute Auftreten von Symptomen einer vorbestandenen Krankheit nicht als selbständige Neuerkrankung aufzufassen ist, sondern als Fortdauern einer bereits eingetretenen Krankheit».
Mit dieser Begründung liess das Gericht eine Patientin im Regen stehen, die vor dem Abschluss einer Zusatzversicherung einmal kurzzeitig an Gelenkschmerzen gelitten und dies im Gesundheitsfragebogen auch deklariert hatte.
Als die Frau nach acht beschwerdefreien Jahren einen Rückfall hatte, sahen die Ärzte darin den «zweiten Schub einer chronischen Polyarthritis». Die Folge: Die Zusatzversicherung musste nicht zahlen.
Ombudsman Gebhard Eugster stossen solche Fälle sauer auf: «Wer den Fragebogen ehrlich ausfüllt und von der Versicherung vorbehaltlos aufgenommen wird, sollte damit rechnen dürfen, dass alle Gesundheitsstörungen versichert sind. Alles andere ist für den Versicherten sehr unbefriedigend, weil eine Unsicherheit über den Deckungsumfang besteht.»
Die Assura, Krankenkasse von Thomas Friedli, sieht das anders: «In unseren Bedingungen steht klar, dass die anlässlich der Antragsunterzeichnung bereits bestehenden Leiden nicht gedeckt sind», schreibt der stellvertretende Direktor Jean-Bernard Pillonel dem K-Tipp. Ein Haus könne man auch nicht mehr gegen Feuer versichern, wenn schon Rauch aufsteige.
Diesem Vergleich kann ETH-Rechtsprofessor Urs Nef wenig abgewinnen: «Artikel 9 des Versicherungsvertragsgesetzes passt schlecht auf Krankheitsfälle und sollte deshalb in diesem Bereich mit grosser Zurückhaltung angewendet werden.»
Noch einen Schritt weiter geht das Bundesamt für Privatversicherungen: «Wir setzen uns in der laufenden Teilrevision des Versicherungsvertragsgesetzes für die Einführung einer vorvertraglichen Informationspflicht der Versicherungen ein, damit solche Fälle in Zukunft nicht mehr vorkommen», kündigt Sprecher Patrick Jecklin an. Wie weit diese Informationspflicht konkret gehen soll, will er aber nicht verraten.
Gegen eine bessere Kundeninformation hätte auch Peter Marbet vom Krankenkassenverband Santésuisse nichts einzuwenden: «Eine Deckungszusage, die im Schadenfall nicht gilt, ist nicht transparent.»
Beantworten Sie Gesundheitsfragen ehrlich
Wer über eine freiwillige Zusatzversicherung bei der Krankenkasse verfügt oder eine solche Versicherung abschliessen will, sollte folgende Tipps beachten.
Sie haben schon eine Zusatzversicherung:
- Wechseln Sie damit nicht zu einer anderen Krankenkasse - vor allem dann nicht, wenn Sie nicht immer gesund waren. Ein Rückfall könnte Sie sonst teuer zu stehen kommen.
- Falls Ihre Kasse Leistungen ablehnt, weil es sich um ein Leiden handle, das vor Abschluss der Versicherung bereits bestanden habe, wenden Sie sich an den Ombudsman der Sozialen Krankenversicherung, Morgartenstrasse 9, 6003 Luzern, Tel. 041 226 10 10. Er prüft, ob der Standpunkt der Kasse korrekt ist.
- Ihre Krankenkasse darf die Zusatzversicherung wegen eines solchen Leidens, das Sie im Formular angegeben haben, nicht kündigen. Sie können verlangen, dass der Vertrag weiterläuft.
Sie hatten bisher keine Zusatzversicherung, wollen aber eine abschliessen:
- Beantworten Sie die Gesundheitsfragen im Antragsformular unbedingt wahrheitsgemäss und vollständig. Sonst muss die Versicherung nicht zahlen, wenn Sie krank werden. Das gilt auch dann, wenn die falsche Antwort (zum Beispiel Bluthochdruck nicht angegeben) nichts mit der späteren Erkrankung (Blinddarm-Operation) zu tun hat.
- Im Zweifelsfall ergänzen Sie den Fragebogen durch folgenden Hinweis: «Ich bin mir nicht sicher, ob die Angaben vollständig sind. Bitte erkundigen Sie sich bei meinem Hausarzt, Doktor xy, der Ihnen umfassend Auskunft geben kann.»
- Falls ein Versicherungsvertreter den Fragebogen für Sie ausfüllt, vergewissern Sie sich, dass die Antworten stimmen. Alle Fragen im Antragsformular sind wichtig, auch wenn der Vertreter etwas anderes sagt.