Kassieren für nichts
Müssen Eltern für ihr Neugeborenes die Prämie für den ganzen Monat zahlen, wenn es erst am 20. des Monats auf die Welt kommt? Viele Krankenkassen sagen ja. Auch der Todesmonat wird voll verrechnet.
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K-Tipp 08/2008
20.04.2008
Ernst Meierhofer
Die Krankenkasse Sanitas kann etwas, was andere Kassen nicht schaffen: Prämien tagesgenau berechnen. Ein neugeborenes Kind zahlt erst ab dem effektiven Geburtstag. Im Todesfall ist die Prämie nur bis zum Todestag geschuldet. Wer in die Schweiz einreist, ist ab dem Tag der Wohnsitznahme prämienpflichtig. Und wenn jemand auswandert, kassiert die Sanitas Prämien exakt bis zum Abreisetag.
Die Krankenkasse Wincare, die von der Sanitas übernommen wurde, verf&a...
Die Krankenkasse Sanitas kann etwas, was andere Kassen nicht schaffen: Prämien tagesgenau berechnen. Ein neugeborenes Kind zahlt erst ab dem effektiven Geburtstag. Im Todesfall ist die Prämie nur bis zum Todestag geschuldet. Wer in die Schweiz einreist, ist ab dem Tag der Wohnsitznahme prämienpflichtig. Und wenn jemand auswandert, kassiert die Sanitas Prämien exakt bis zum Abreisetag.
Die Krankenkasse Wincare, die von der Sanitas übernommen wurde, verfährt ab Mai 2008 gleich.
Voller Monat statt tagesgenaue Prämien
Was logisch und vernünftig erscheint, ist bei anderen Krankenkassen keineswegs der Fall. Viele verlangen in allen vier geschilderten Fällen seit Jahren die ganze Monatsprämie. Sie kassieren also Geld von Neugeborenen, Toten und Ausgewanderten, obwohl sie in dieser Zeit gar keine Gegenleistungen erbringen müssen.
Als Begründung für diese stossende Praxis können die Kassen jetzt auf das Bundesgericht verweisen. Die höchsten Richter haben den Grundsatz «Kassieren für nichts» am 14. August 2006 abgesegnet. Die gesamte Krankenversicherung sei von «monatlichen Zeiteinheiten geprägt». Und es gebe gute Gründe, in solchen Fällen die ganze Monatsprämie zu verlangen, «selbst wenn der Versicherungsschutz nur für einen Bruchteil dieser Zeit in Anspruch genommen wird».
Die Krankenkassen haben diesen höchstrichterlichen Freipass gerne aufgenommen und reden gar vom «Umsetzen» dieses Entscheides. Einige verlangen in der Grundversicherung weiterhin in allen vier Fällen (Geburt, Tod, Ein- und Ausreise) die volle Monatsprämie – so etwa EGK-Gesundheitskasse und KPT.
Eine Umfrage des K-Tipp unter 22 Krankenkassen ergab: Viele andere Versicherer kassieren im Prinzip ebenfalls die volle Monatsprämie, kommen aber wenigstens den Neugeborenen entgegen, indem sie ihnen die erste Monatsprämie der Grundversicherung erlassen. Das zuständige Aufsichtsamt habe dies bisher toleriert. Dies gilt für Atupri, Helsana (inkl. Avanex, Aerosana, Progrès und Sansan), Intras, Sympany, Swica und Visana (inkl. Sana24 und Vivacare).
Bei Assura und Supra ist der Geburtsmonat gratis, falls die Eltern das Kind noch vor der Geburt anmelden. Die CSS (inklusive Arcosana und Auxilia) verrechnet bei Geburt sowie bei Ein- und Ausreise nur die halbe Prämie des betreffenden Monats. Die Groupe-Mutuel-Kassen verlangen für Neugeborene nur die halbe Prämie, falls das Kind nach dem 15. auf die Welt kommt.
Die Concordia fordert ebenfalls die volle Monatsprämie ein, zahlt aber für Neugeborene als Zückerchen einen «Baby-Bonus» von 100 Franken aus.
All dies gilt für die obligatorische Grundversicherung. Was für die freiwilligen Zusatzversicherungen gilt, steht weiter unten.
Die volle Monatsprämie sei praktikabel, argumentieren viele Krankenkassen, während die tagesgenaue Berechnung einen massiven Mehraufwand erfordere. Zudem seien die meisten Informatiksysteme gar nicht für die tagesgenaue Abrechnung eingerichtet, sagt etwa die Atupri.
Das Beispiel von Sanitas und Wincare zeigt: Alles nur Ausreden.
Heikle Praxis bei den Zusätzen
Auch bei den Zusatzversicherungen berechnen Sanitas und Wincare die Prämien bei Geburt, Tod, Ein- und Ausreise auf den Tag genau. Die Visana macht es hier ebenso.
Andere Kassen hingegen kassieren auch bei den Zusatzversicherungen ungeniert für den ganzen Monat. Viele schenken aber den Babys den ersten Monat (wobei sehr fraglich ist, ob Kleinkinder überhaupt Zusatzversicherungen brauchen).
Ob das juristisch haltbar ist, musste noch kein Gericht entscheiden. Zumindest im Todesmonat und bei der Ausreise ins Ausland ist diese Praxis sehr fragwürdig. Denn im Versicherungsvertragsgesetz steht klar: «Bei vorzeitiger Auflösung oder Beendigung des Versicherungsvertrages ist die Prämie nur für die Zeit bis zur Vertragsauflösung geschuldet.»