Kein Gehör für tiefere Gerätepreise
Hörgeräte sind in der Schweiz zu teuer. Denn die Branche diktiert die Preise und die Versicherungen zahlen - allen voran die defizitäre IV.
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K-Tipp 10/2005
18.05.2005
Muriel Brink, Bennie Koprio
Hörgeräte sind in der Schweiz ein gutes Geschäft: Im letzten Jahr wurden 52 000 Stück verkauft - 49 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Ein Markt mit Wachstumsgarantie: Die zunehmende Überalterung und die steigende Lärmbelastung sorgen dafür, dass der Branche die Kunden nicht ausgehen.
Und diese Kundschaft lässt sich rupfen: Schweizer Hörgeräte sind in Deutschland teils erheblich günstiger als hier. Das ergab ein Vergleich von Kassensturz.
Im S...
Hörgeräte sind in der Schweiz ein gutes Geschäft: Im letzten Jahr wurden 52 000 Stück verkauft - 49 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Ein Markt mit Wachstumsgarantie: Die zunehmende Überalterung und die steigende Lärmbelastung sorgen dafür, dass der Branche die Kunden nicht ausgehen.
Und diese Kundschaft lässt sich rupfen: Schweizer Hörgeräte sind in Deutschland teils erheblich günstiger als hier. Das ergab ein Vergleich von Kassensturz.
Im Schnitt 50 bis 80 Prozent teurer
Drei Beispiele (Preisangaben ohne Mehrwertsteuer):
- Das Modell Neo 112 der Schweizer Marke Bernaphon kostet hier Fr. 2710.-, in Deutschland hingegen nur Fr. 1517.-.
- Das Gerät Aero 211 von Phonak hat in der Schweiz einen Preis von Fr. 2180.-, in Deutschland ist es für Fr. 1637.35 zu haben.
- Für Maxx 211 - ebenfalls von Phonak - bezahlt man bei uns Fr. 1837.-, in Deutschland hingegen nur Fr. 1210.-.
Noch krassere Unterschiede zeigte ein Vergleich des Preisüberwachers vor zwei Jahren. Im Extremfall - für ein Classica-Gerät von Phonak - bezahlte ein Schweizer im Jahr 2003 fast viermal so viel wie ein Deutscher.
Der Grund für diese teils massiven Unterschiede: «Die Preise sind in der Schweiz zu hoch, weil sie von den Behörden festgesetzt sind», sagt Yves Seydoux vom Verband der Krankenkassen Santésuisse. «Es gibt keinen Wettbewerb.»
Tatsächlich ist im Vertrag zwischen dem Bundesamt für Sozialversicherung und der Hörgerätebranche festgelegt, wie viel ein Hörgerät je nach Grad der Schwerhörigkeit kosten darf. Was als Maximalpreis gemeint ist, hat sich jedoch als Marktpreis etabliert. Hersteller und Hörgeräte-Akustiker haben kein Interesse daran, die Preislimiten zu unterbieten. Warum auch? Die Versicherungen zahlen ja - allen voran die hoch defizitäre Invalidenversicherung IV.
«Der Preis ist für die IV nicht entscheidend», sagt dazu Ursula Schneiter vom Bundesamt für Sozialversicherung. Die Versorgung mit Hörgeräten sei in erster Linie eine Eingliederungsmassnahme. «Besser, man bezahlt jemandem ein gut angepasstes Hörgerät als allenfalls eine IV-Rente auszuzahlen.»
Das Anpassen eines Hörgeräts besorgt der Akustiker. Er streicht dafür rund zwei Drittel des Preises ein. Auch das ist problematisch: Will ein Akustiker sein Geld möglichst leicht verdienen, erledigt er die Arbeit auf die Schnelle, und der Kunde hat ein Gerät, das ihm wenig nützt.
Kunden müssen sich dem Diktat beugen
Die goldigen Rahmenbedingungen der Branche locken auch ausländische Unternehmen an. Etwa den italienischen Hörgeräte-Multi Amplifon. Die Firma hat in knapp drei Jahren in der Schweiz 63 Filialen eröffnet und ist mittlerweile Marktführerin. Dank seiner Grösse hat der Multi gegenüber den Kleinbetrieben Vorteile. Heinz Ruch, Geschäftsführer von Amplifon: «Wir kaufen zu besseren Konditionen ein.» Auf die Frage von Kassensturz, ob diese Rabatte an die Kunden weitergegeben werden, antwortet Ruch mit einem schlichten «Nein».
Auch in diesem Punkt kommt die IV der Hörgerätebranche entgegen: Während es laut Krankenversicherungsgesetz Leistungserbringern verboten ist, Mengenrabatte in die eigene Tasche zu stecken, ist dies bei der IV möglich.
Der Prämien- und Steuerzahler ist machtlos: Er kann sein Hörgerät nicht einfach zu einem günstigeren Preis im Ausland kaufen. In diesem Fall zahlt die Invalidenversicherung nämlich keinen einzigen Rappen.
Jeder zweite Jugendliche schädigt sein Gehör durch laute Musik
Die Zahl der Hörbehinderten nimmt in der Schweiz konstant zu: Rund 700 000 Menschen hören heute schlecht, vor zehn Jahren waren es erst 500 000.
Schuld an dieser negativen Entwicklung: «Zum einen die Überalterung der Bevölkerung, zum andern die zunehmende Lärmbelastung», sagt Thomas Schmidhauser von Pro Audito, der Organisation für Menschen mit Hörproblemen.
Eine der schädlichsten Lärm-Quellen ist laute Musik. Gemäss Untersuchungen aus Deutschland ist bei mehr als der Hälfte der Jugendlichen das Gehör geschädigt. Ursache: zu langer Konsum von zu lauter Musik, sei es unterwegs ab CD- oder MP3-Player oder an Konzerten und in Discos.
Experten nehmen an, dass es um das Gehör der Schweizer Jugend ähnlich steht, wie Saldo in seiner jüngsten Ausgabe berichtet.
Zwar darf der Dauerschallpegel an öffentlichen Musik-Veranstaltungen in der Schweiz 93 Dezibel nicht überschreiten. Diese Limite wird von den Veranstaltern aber nicht selten überschritten mit der Begründung, die Besucher wollten es so und gewisse Musikarten kämen nur mit einer gewissen Lautstärke zur Geltung.
Häufige Spätschäden
Wer sich mehr als zwei Stunden einem Krach von 100 Dezibel aussetzt, schädigt sein Gehör. «Bei den meisten zeigt sich dies mit einem Tinnitus», sagt Schmidhauser. Dieses Ohrensausen oder -pfeifen verschwindet zwar meist nach ein paar Tagen wieder. Doch der Schaden zeigt sich oft erst Jahre später mit 50 oder 60 Jahren.
Bisher haben die Lärmschutzmassnahmen in der Schweiz bisher erst in einem Bereich gegriffen: Die Zahl der Menschen, die im Beruf einen Gehörschaden erleiden, ist in den letzten dreissig Jahren massiv zurückgegangen.
Bei der Belastung durch laute Musik sieht es weniger erfreulich aus. Zwar raten Suva und Gesundheitsbehörden Disco- und Konzertbesuchern seit Jahren, ihre Ohren mit Pfropfen zu schützen. «Leider passen die jungen Leute heute weniger auf als noch vor einigen Jahren, als Ohrstöpsel noch in waren», so Schmidhauser.
Personen ab 50 empfiehlt Pro Audito zudem, das Gehör jedes Jahr bei einem Hörgeräte-Akustiker testen zu lassen. Das ist bei allen Akustikern in der ganzen Schweiz gratis. Drängt sich gemäss dem Testergebnis ein Hörgerät auf, darf man sich auf keinen Fall einfach das teuerste Gerät aufschwatzen lassen - auch wenn die IV es bezahlt. «Man sollte verschiedene Geräte ausprobieren», so Schmidhauser.
Hörgeräte vergleichen
Gemäss dem Vertrag zwischen dem Bundesamt für Sozialversicherung und den Akustikern hat der Kunde nämlich das Recht, sich verschiedene Geräte anpassen zu lassen und sich dann für jenes zu entscheiden, das ihm am besten passt.
Solche vergleichenden Anpassungen werden gemäss den Erfahrungen von Pro Audito jedoch nicht von allen Akustikern automatisch gemacht. Schmidhauser: «Die Leute sollten sich wehren und auf eine vergleichende Anpassung beharren. Denn es kann durchaus sein, dass das günstigere Gerät besser passt.»