Kein Grund zur Panik
Reisserische Berichte über die Vogelgrippe-Gefahr haben viele Menschen verunsichert. Der Gesundheitstipp nimmt die wichtigsten Behauptungen der Panikmacher kritisch unter die Lupe.
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Gesundheitstipp 12/2005
07.12.2005
Christian Egg
Behauptung 1: «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine Vogelgrippe-Pandemie ausbricht und Millionen Menschen dahinrafft.»
Tatsache ist: In seiner heutigen Form kann das Vogelgrippe-Virus unter Menschen keine Pandemie auslösen. In seltenen Fällen haben sich Menschen in Asien angesteckt, allerdings nur durch engen Kontakt mit Geflügel.
Um eine Pandemie auszulösen, müsste sich das Virus erst verändern, sodass es von Mensch zu Mensch übertragbar wäre. Ob dies je gesc...
Behauptung 1: «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine Vogelgrippe-Pandemie ausbricht und Millionen Menschen dahinrafft.»
Tatsache ist: In seiner heutigen Form kann das Vogelgrippe-Virus unter Menschen keine Pandemie auslösen. In seltenen Fällen haben sich Menschen in Asien angesteckt, allerdings nur durch engen Kontakt mit Geflügel.
Um eine Pandemie auszulösen, müsste sich das Virus erst verändern, sodass es von Mensch zu Mensch übertragbar wäre. Ob dies je geschehen wird, weiss niemand.
Behauptung 2: «Etwa alle 30 Jahre gibt es eine grosse Grippe-Pandemie. Die letzte war 1968. Eine neue Pandemie ist also überfällig.»
Tatsache ist: Die Pandemie hat kein Gedächtnis, das ihr sagt, wann sie wieder zuschlagen muss. Ein Pandemie-Virus kann erst dann entstehen, wenn sich ein Mensch sowohl mit der Vogelgrippe als auch mit der herkömmlichen Grippe ansteckt. Dann können die beiden Viren Erbinformationen austauschen. Im schlimmsten Fall entstünde ein neuartiges Virus.
Bisher ist das nicht geschehen, obwohl dasselbe Vogelgrippe-Virus bereits 1997 in Hongkong unter Geflügel wütete.
Einige Wissenschaftler sehen darin ein gutes Zeichen: Wenn das Virus bis heute keine Pandemie ausgelöst hat, sei es vielleicht gar nicht fähig, die nötigen Veränderungen durchzumachen.
Behauptung 3: «Ist die Pandemie erst einmal da, wird mindestens ein Viertel der Bevölkerung krank.»
Tatsache ist: Diese Behauptung basiert auf den Erfahrungen früherer Pandemien, besonders der berüchtigten «Spanischen Grippe» von 1918. Doch damals waren die Menschen durch die Entbehrungen des Ersten Weltkrieges geschwächt. Zudem lebten die Soldaten unter meist mangelhaften hygienischen Bedingungen in Kasernen zusammengepfercht. Deshalb hatte das Virus leichtes Spiel.
Heute dagegen sind wir so gut gegen eine Pandemie gewappnet wie noch nie. Die Impfstoff-Hersteller rechnen damit, dass sie bereits drei bis sechs Monate nach dem ersten Auftreten des Pandemie-Virus einen Impfstoff entwickelt und in grossen Mengen produziert haben.
Behauptung 4: «Jede zweite Person, welche die Vogelgrippe bekommt, stirbt daran.»
Tatsache ist: Bisher war die Vogelgrippe in etwa der Hälfte aller bekannten Fälle tödlich. Doch Wissenschaftler vermuten, dass viele harmlos verlaufenden Vogelgrippe-Fälle gar nicht erkannt wurden. Deshalb gäben die offiziellen Zahlen ein zu düsteres Bild ab.
Als die gefürchtete «Spanische Grippe» wütete, starb nur einer von zwanzig Betroffenen. Zudem: Viele der Opfer starben nicht an der Grippe, sondern an zusätzlichen Krankheiten wie Lungenentzündung. Diese bekommt man heute meist in den Griff - Antibiotika sei Dank.
Auch vom Roche-Medikament Tamiflu versprechen sich viele Fachleute, dass es bei einer Pandemie die Überlebensaussichten verbessert. Deshalb hat der Bund beschlossen, Tamiflu einzulagern. Die beschaffte Menge reicht aus, um alle Kranken zu behandeln, bis ein Impfstoff verfügbar ist.
Behauptung 5: «Einem Pandemie-Virus sind wir schutzlos ausgeliefert. Unser Immunsystem erkennt es nicht.»
Tatsache ist: Das Vogelgrippe-Virus ist entfernt verwandt mit früheren Grippeviren. Es ist durchaus denkbar, dass das Immunsystem das neue Virus erkennt und wirksam bekämpft.
Zudem ist unser Immunsystem heute besser «trainiert» als zur Zeit der Spanischen Grippe: Damals lebten viele Menschen auf dem Land und verliessen ihren Wohnort nur selten. Dadurch kamen sie weniger oft mit Grippe-Erregern in Kontakt und waren somit anfälliger.
Siehe auch Artikel zu Tamiflu auf Seite 8