Jeder, der im Spital stirbt, ist künftig ein möglicher Organspender. Das gilt stets, wenn diese Person oder ihre Angehörigen dem nicht ausdrücklich widersprechen (K-Tipp 14/2021). Am 20. September sagte nach dem Nationalrat auch der Ständerat Ja zu diesem neuen Gesetz. Heute gilt noch: Ärzte dürfen Organe nur bei ausdrücklicher Zustimmung des Spenders oder der Angehörigen entnehmen.
Das Protokoll der Abstimmung zeigt: 31 Ständeräte stimmten für das Gesetz, 12 dagegen. Ja stimmten alle Ständeräte von SP und Grünen sowie fast alle Ständeräte der FDP – nur Josef Dittli sagte Nein. Gegen die Neuregelung waren alle SVP-Ständeräte und 5 der 13 Ständeräte der Mitte.
Viele Ständeräte, die Ja stimmten, haben Verbindungen ins Gesundheitswesen. Das zeigt die Interessenbindungsliste des Parlaments:
Marina Carobbio Guscetti (SP/TI) ist Stiftungsratspräsidentin von Swisstransplant. Diese Organisation führt im Auftrag des Bundes die Warteliste der Organempfänger. Swisstransplant spendete 60 000 Franken für die Volksinitiative, die den Anstoss zur Neuregelung der Organspende im Parlament gab.
Martin Schmid (FDP/GR) ist Verwaltungsratspräsident der Immobilien-AG des Kantonsspitals Graubünden sowie Stiftungsratspräsident der Stiftung Kantonsspital Graubünden. Zudem ist Schmid Verwaltungsratsvizepräsident des Pharmaunternehmens Siegfried. Die Firma ist laut eigenen Angaben nicht im Geschäft mit Medikamenten tätig, die nach einer Transplantation benötigt werden.
Ständerat Philippe Bauer (FDP/NE) ist Verwaltungsrat der Swiss Medical Network Hospitals AG mit Sitz in Freiburg. Die Kliniken der Privatklinikgruppe führen rund 60 000 chirurgische Eingriffe pro Jahr durch. Laut Swiss Medical Network sind darunter keine Transplantationen.
Auf Anfrage erklären die Ständeräte ihre Mandate als «unproblematisch». Marina Carobbio teilt mit, sie arbeite unentgeltlich für Swisstransplant. Philippe Bauer sagt, er stimme stets nach seiner persönlichen Überzeugung. Martin Schmid teilt mit, er unterstütze die Organspende aus persönlicher Erfahrung und besitze einen Spenderausweis.
Angehörige kommen unter Druck
Ethiker kritisieren den Entscheid des Parlaments. Ruth Baumann-Hölzle von der Stiftung «Dialog Ethik» sagt: «Es wird möglich, dass Ärzte Menschen Organe gegen ihren Willen entnehmen. In diesem Fall ist das keine freiwillige Organspende, sondern eine Organentwendung.»
Was viele nicht wissen: Organe werden bei sterbenden Personen entnommen, die zwar hirntot sind, aber intensivmedizinisch am Leben erhalten werden – ihr Herz schlägt, sie atmen. Der Körper stirbt also durch die Organentnahme.
Die Zürcher Philosophin und Juristin Birgit Christensen glaubt, dass Angehörige unter Druck kommen könnten: «Es kann schwierig sein, Nein zu sagen, wenn die Ärzte sagen, die Person selbst habe ja nicht klar widersprochen.»
Ob die Bürger zur Organspende etwas zu sagen haben, ist offen. Bisher kündigte niemand ein Referendum an. Die Mitte will das nicht tun, wie es auf Anfrage heisst. Die SVP teilt mit, die Parteigremien müssten noch darüber diskutieren. Kommt es nicht zum Referendum, kann der Bundesrat das Gesetz frühestens nächstes Jahr in Kraft setzen.