«Keine Sorge, es ist alles bezahlt»
Inhalt
K-Tipp 15/2002
18.09.2002
Ärzte müssen nicht nur richtig behandeln, sondern ihre Patienten auch über die wichtigsten Versicherungsbelange aufklären. Doch in der Praxis wird das oft «vergessen».
Ernst Meierhofer emeierhofer@ktipp.ch
Das erste Kind von Susanne Zöllig hatte die Glasknochen-Krankheit. Es starb schon im Alter von 18 Monaten.
Dann kam ein gesundes Kind zur Welt. Jetzt riet der Frauenarzt der besorgten Mutter aus Niedererlinsbach AG, sich unterbinden zu lassen...
Ärzte müssen nicht nur richtig behandeln, sondern ihre Patienten auch über die wichtigsten Versicherungsbelange aufklären. Doch in der Praxis wird das oft «vergessen».
Ernst Meierhofer emeierhofer@ktipp.ch
Das erste Kind von Susanne Zöllig hatte die Glasknochen-Krankheit. Es starb schon im Alter von 18 Monaten.
Dann kam ein gesundes Kind zur Welt. Jetzt riet der Frauenarzt der besorgten Mutter aus Niedererlinsbach AG, sich unterbinden zu lassen; es bestehe das Risiko, erneut ein schwer krankes Kind zu gebären.
Die Kasse zahle das, sagte der Arzt - doch das war falsch. Aus der Grundversicherung sind Unterbindungen nur bezahlt, falls der Frau selber durch eine Geburt eine schwere gesundheitliche Schädigung droht.
«Patientin muss die Folgen nicht tragen»
Zölligs Krankenkasse, die Helsana, weigerte sich deshalb zu Recht, die Sterilisation zu übernehmen. Daher hätte die Frau 1430 Franken selber zahlen müssen.
Da erschien im K-Tipp ein Artikel, der Zöllig Hoffnung machte: Darin wurde von einer Frau berichtet, die ein Arzthonorar nicht zahlen musste, weil der Mediziner gewusst hatte, dass die Krankenkasse nicht leistungspflichtig war. Spital und Arzt hatten damit ihre wirtschaftliche Aufklärungspflicht verletzt (Nr. 6/2002).
Susanne Zöllig rief beim K-Tipp an, und die Redaktion empfahl ihr, sich an ihre Patienten-Rechtsschutzversicherung zu wenden. Die haben alle Helsana-Kunden mit der Zusatzversicherung Top oder Completa.
Der Brief, den die Rechtsschutzversicherung der Klinik schrieb, spricht Klartext: «Der Belegarzt hat Frau Zöllig klar zu verstehen gegeben, dass die Unterbindung durch die Krankenkasse bezahlt würde.»
Und: «Wir gehen davon aus, dass die Frau über die wirtschaftlichen Folgen eines medizinischen Eingriffs nicht richtig aufgeklärt wurde. Sie hat die Konsequenzen nicht zu tragen.»
Resultat: Die Aarauer Klinik Im Schachen, wo die Frau operiert wurde, verzichtet auf ihre Forderung.
Kein glückliches Ende hingegen im Fall der Patientin Amann (Name geändert): Sie war für eine Geburt in der Zürcher Hirslanden-Klinik angemeldet. Ihr Frauenarzt, Stanislav Prchal, habe ihr zweimal mündlich gesagt, die Kosten in der halbprivaten Abteilung würden durch die Krankenkasse voll übernommen, sagt Amann.
Arzt hätte vor Gericht wenig Chancen
Doch die ÖKK war dazu nicht bereit. Weil sich die Zürcher Privatkliniken und die Kassen über die Tarife nicht einig sind, schickte die ÖKK dem Spital nur eine beschränkte Kostengutsprache - sodass am Schluss 1870 Franken übrig blieben. Diese hat die Patientin ihrem Gynäkologen inzwischen aus dem eigenen Sack bezahlt.
Hätte sie die Bezahlung verweigert, hätte der Arzt wenig Chancen, seine Forderung vor Gericht durchzusetzen. Zwar bestreitet er in einem Brief an die Patientin den Vorwurf der Falschinformation - doch andererseits liegt auch keine Honorarvereinbarung vor, wie sie die Zürcher Vereinigung der Gynäkologen ihren Mitgliedern empfiehlt.
Gynäkologe Prchal weigert sich, seiner Patientin das Geld zurückzuschicken. Entsprechende Fragen des K-Tipp hat er nicht beantwortet.
Seiner Kundin schrieb er lapidar, es sei Sache der Patienten, mit der Kasse abzuklären, wie viel sie zahle.
Damit liegt der Mediziner falsch. Ärzte haben wie erwähnt auch eine wirtschaftliche Aufklärungspflicht. Sie müssen die Patienten nicht nur über die Risiken der Operation aufklären, sondern auch über die wichtigsten Versicherungsbelange.
Zwar verlangt niemand, dass Ärzte alle Bestimmungen des Krankenversicherungsgesetzes und sämtliche Details der Tarifverträge auswendig kennen.
«Die Ärzte klären nicht über Tarife auf»
Das Bundesgericht sagt aber dazu, dass sie wenigstens «die zweifelhaften Fälle» kennen müssen, «die möglicherweise von den Krankenkassen nicht übernommen werden». Daraus folgt, dass Ärzte in kritischen Fällen ihren Patienten zumindest raten müssen, sich vor der Behandlung bei der Kasse zu erkundigen.
Genau ein solcher «zweifelhafter Fall» liegt bei Daniela Frund aus Hermrigen BE vor. Sie hat als Allgemeinpatientin in der Berner Privatklinik Sonnenhof mit Kaiserschnitt geboren. Der Frauenarzt sagte ihr, sie müsse den Aufpreis für das Zimmer selber zahlen, den Rest übernehme die Kasse.
Das war aber nicht so. Bei Allgemeinpatienten in einer Privatklinik streiten sich Berner Ärzte und Kassen um die Tarife. Weil die Kassen die Zuschläge der Belegärzte nicht akzeptieren, musste Frund 1300 Franken für den Anästhesisten selber zahlen.
Dass der Frauenarzt hier seine Aufklärungspflicht verletzt hat, liegt auf der Hand. Denn die Sonnenhof-Ärzte wissen genau, dass ihre Tarife umstritten sind. Das bestätigt Rechtskonsulent Roland Amstutz vom Branchenverband Santésuisse Bern. Und: «Ich bin sicher, dass die Ärzte ihre Patienten nicht über dieses Problem aufklären.»
Immerhin hatte Frunds Krankenkasse, die Concordia, ein Einsehen. Sie hat ihr die 1300 Franken zurückerstattet und versucht nun selber die Summe beim Anästhesisten einzutreiben.
Weniger Glück hatte Wolfgang H. aus Basel (Name geändert). «Dummerweise habe ich die 5700 Franken schon gezahlt», ärgert er sich. Die Summe ging an das Basler Merian-Iselin-Spital, wo seine Frau elf Tage lang in der Privatabteilung behandelt worden war.
Es waren Alkoholprobleme, die den Aufenthalt seiner Gattin nötig machten - und genau das führte dazu, dass die Patientin jetzt auch ein Geldproblem hat. Zwar hat sie eine Privatspital-Deckung bei der Swica. Doch Heilbehandlungen wegen Alkohol- oder Drogenfolgen sind bei den meisten Krankenkassen aus Zusatzversicherungen nicht gedeckt.
Falsche Auskunft: Kein Honorar für Arzt
Die Swica zahlte deshalb nur den Anteil der Grundversicherung, der Rest von 5700 Franken blieb an der Patientin hängen.
Klar ist: Die Patientin hätte sich vorher bei der Swica schriftlich erkundigen müssen. Die Swica hätte die Kostengutsprache für eine Alkoholbehandlung in der Privatabteilung verweigert - mit Hinweis auf die Versicherungsbedingungen.
Das hatte die Patientin nicht gemacht. Doch sie kann sich auf den Standpunkt stellen, dass gerade Spezialisten für Alkoholkrankheiten wissen sollten, dass in Zusatzversicherungen solche Behandlungen ausgeschlossen sind. Ob ihr ein Gericht die Rückerstattung der Summe zusprechen würde, muss hier aber offen bleiben.
Im Normalfall gilt:
- Wenn ein Arzt weiss, dass die Kasse nicht zahlt, darf er nicht behandeln, ohne dem Patienten etwas zu sagen. Sonst können sich Patienten weigern, sein Honorar zu zahlen.
- Das gilt auch, wenn der Arzt eine falsche Auskunft gibt.
- Ist der Arzt unsicher, muss er dem Patienten raten, sich vor der Behandlung oder vor dem Spitalaufenthalt bei der Krankenkasse zu erkundigen.
Spitalaufenthalt: Kostengutsprache frühzeitig einholen!
Vor einem Spitalaufenthalt sollten sich Patientinnen und Patienten unbedingt frühzeitig mit der Krankenkasse in Verbindung setzen und eine schriftliche Kostengutsprache verlangen.
Viele unterlassen das, weil sie denken, beim letzten Spitalaufenthalt sei ja alles bezahlt worden, also werde es auch jetzt so sein. Das ist gefährlich, denn die Tarifverträge können sich schnell ändern.
Wichtig: Sich auf telefonische Auskünfte zu verlassen ist gefährlich. Es kommt immer wieder vor, dass Kassenangestellte eine falsche Auskunft geben oder über die geplante Behandlung nicht im Bild sind.
Tipp: Wenn Sie eine mündliche Auskunft erhalten haben, sollten Sie der Kasse dies sofort schriftlich mitteilen: «Ich bestätige hiermit, dass Sie mir mündlich zugesagt haben, dass Sie sämtliche anfallenden Kosten für den Spitalaufenthalt im Spital XY übernehmen.» Dadurch ist späteren Streitereien über die Deckung der Boden entzogen, denn damit ist bewiesen, dass die Krankenkasse zugesagt hat.