Einige Kreditkartenfirmen sind besonders dreist: Der Kreditkarteninhaber anerkenne alle Transaktionen, die mit seinen Kartenangaben getätigt werden. Dies «auch ohne Unterschrift und ohne Benützung des Pin». So steht es in den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Cornèrcard. Mit andern Worten: Wer die Kreditkartennummer einer Person kennt, könnte auf deren Kosten leben. Für die Ausgaben haftet einzig der Inhaber der Karte.
Für Professor Thomas Koller von der Uni Bern ist diese Klausel unbegreiflich: «Nach jedem Benutzen der Karte kennen mehr Personen die Kartenangaben.» Das Risiko eines Missbrauchs wachse somit stetig, und dafür müsse heute allein der Kunde geradestehen. Cornèrcard wiegelt ab: Bei einem Missbrauch der Karte können Kunden innert 30 Tagen reklamieren. Dann werde ihnen der belastete Betrag wieder gutgeschrieben. Doch in den AGB steht dazu nichts. Im Ernstfall wäre ein Kunde also auf die Kulanz von Cornèrcard angewiesen.
Theoretisch ist jeder Vertrag ein zweiseitiges Rechtsgeschäft. Der Inhalt sollte von den Parteien frei ausgehandelt werden. Davon geht das geltende Recht aus. Die Realität ist eine andere: Mit den AGB diktiert die stärkere Partei, was gilt. Sie wälzt die Risiken auf den schwächeren Kunden ab – und stellt sich einen Freipass für einseitige Vertragsänderungen aus. Einige Beispiele:
- Banken wollen nicht für ihre mangelnde Sorgfalt haften: Laut den AGB trägt der Kunde das Risiko, wenn die Bank Unterschrifts- und Dokumentenfälschungen nicht erkennt. Die Banken haften nur für grobes Verschulden.
Verzugszinsen ohne Mahnung
Banken behalten sich mitunter vor, Kündigungsfristen zu missachten, Kredite jederzeit zu kündigen und auf sofortiger Rückzahlung zu bestehen.
Swisscard verlangt laut AGB bei verspäteter Zahlung Verzugszinsen ohne vorherige Mahnung. Und das nicht nur auf dem offenen Betrag – also auch Verzugszinsen auf der rechtzeitig einbezahlten Summe. Swisscard gibt u. a. Kreditkarten für Credit Suisse und Coop heraus.
- Die Swisscom schanzt sich im Kleingedruckten das Recht zu, die Telefonnummern der Kunden jederzeit entschädigungslos zu ändern.
- Laut AGB von Tele 2 akzeptieren die Kunden automatisch die geltenden Preise. Tele 2 darf jederzeit Monatsgebühren ändern oder einen Mindestumsatz fordern.
Rechte und Pflichten ungleich verteilt
Thomas Koller bezeichnet diese Klauseln allesamt als höchst problematisch: Die Rechte und Pflichten zwischen Anbieter und Kunde seien sehr ungleich verteilt. Seit Jahrzehnten fordern Rechtsexperten einen besseren Schutz vor missbräuchlichen Klauseln. Auch Koller sagt klar: «Ein AGB-Gesetz ist in der Schweiz schon lange überfällig.» Heute fehle eine wirksame gesetzliche Grundlage, um das Kleingedruckte zu überprüfen. Pikant: Praktisch überall sonst in Europa gibt es Gesetze gegen krass einseitige AGB.
In Deutschland beispielsweise: Das Gesetz zählt Klauseln auf, die generell unwirksam sind. Und die deutschen Gerichte kontrollieren bei den AGB, ob Rechte und Pflichten stark vom Gesetz abweichen. In der Schweiz gibt es eine einzige gesetzliche Bestimmung gegen missbräuchliche Klauseln im Kleingedruckten: Artikel 8 des Bun- desgesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG). Nur: Diese Bestimmung ist so formuliert, dass sie zahnlos ist und bisher praktisch nie angewendet wurde.
Simonetta Sommaruga, SP-Ständerätin und Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz, setzt sich für ein AGB-Gesetz ein. Mit einer Initiative forderte sie das Parlament 2006 zum zweiten Mal auf, einen Gesetzesentwurf zu erarbeiten. Sommaruga will gleich lange Spiesse für Anbieter und Kunden. Sie ist überzeugt: Ein AGB-Gesetz würde auch präventiv wirken – problematische Passagen würden nach und nach verschwinden.
Den Ständerat konnte Sommaruga von ihrem Anliegen überzeugen. Nächste Woche stimmt der Nationalrat darüber ab. Der K-Tipp hat verschiedene Nationalräte angefragt. Deren Reaktion deutet darauf hin, dass viele SVP-, FDP- und CVP-Mitglieder gegen ein AGB-Gesetz sind und das Recht des Stärkeren vorziehen:
Für Norbert Hochreutener (CVP BE) beispielsweise ist ein AGB-Gesetz unnötig, weil in nächster Zeit Artikel 8 UWG revidiert werde. Betroffene könnten sich ausserdem in diversen Branchen an Ombudsstellen wenden, statt vor Gericht zu gehen.
Der Ball liegt beim Nationalrat
Lukas Reimann (SVP SG) ist noch unschlüssig. Ihm sei der Konsumentenschutz zwar wichtig, die Vertragsfreiheit aber ebenfalls. In der vorberatenden Kommission des Nationalrates hat er sich gegen Sommarugas Vorlage gestellt.
Kurt Fluri (FDP SO): Seine Partei lehne es ab, dass ein Gericht – losgelöst von einem konkreten Fall – die Zulässigkeit einzelner AGB-Klauseln überprüfen könne. Deshalb sei die FDP gegen ein AGB-Gesetz und gegen die Revision des Art. 8 UWG. Fluri findet es zumutbar, dass Konsumenten die AGB eines Anbieters durchlesen, und empfiehlt, unerwünschte Klauseln zu streichen.
Professor Koller hält dies für Wunschdenken: «Theo- retisch kann jeder Konsument nachteilige Bedingungen vor einem Vertragsabschluss durchstreichen.» Es sei jedoch fraglich, ob die Anbieter das akzeptierten. «Jeder Bürger ist auf ein Bankkonto, eine Kreditkarte oder einen Telefonanschluss angewiesen – und das wissen die Anbieter.»
Nachteilige Klauseln: So wehren Sie sich
Unterschreiben Sie keinen Vertrag, den Sie nicht in Ruhe durchgelesen haben. Das gilt auch für das Kleingedruckte.
- Streichen Sie Klauseln, die Sie nicht verstehen oder mit denen Sie nicht einverstanden sind. Wird dies nicht akzeptiert, versuchen Sie es bei der Konkurrenz.
- Begründet jemand eine Forderung mit einer Klausel im Kleingedruckten, gilt: Erst nach einer rechtlichen Beratung zahlen! K-Tipp-Abonnenten können sich täglich an die K-Tipp-Rechtsberatung wenden (siehe hier).
- Dasselbe gilt, wenn ein Unternehmen einen Anspruch von Ihnen mit dem Hinweis auf das Kleingedruckte ablehnt. Auch hier wissen die Juristinnen und Juristen des K-Tipp, ob Sie sich dagegen wehren können.