Für das laufende Jahr erhöhten die Kran-kenkassen die Prämien um durchschnittlich 6 Prozent. Für das nächste Jahr prognostizierte das Vergleichsportal Comparis in einer Medienmitteilung vom 6. Juni die gleiche Erhöhung: «Krankenkassenprämien steigen 2024 erneut um 6 Prozent», lautete die Überschrift.
Die Versicherungen würden über kein Polster mehr verfügen, um «Kostenschwankungen abzufedern», sagte Comparis-Sprecher Felix Schneuwly. Begründung: Der Bundesrat habe die Kassen seit 2021 dazu gezwungen, ihre Reserven abzubauen.
Unkritische Medien
Viele Medien übernahmen diese Aussagen, ohne sie zu überprüfen: «Dieser Prämienschock wäre vermeidbar gewesen, hätte der Bundesrat die Krankenkassen 2021 nicht gezwungen, ihre Reserven anzuzapfen», hielt etwa der «Tages-Anzeiger» am 7. Juni fest. Und der «Beobachter» schrieb, die Krankenkassen hätten «in den vergangenen Jahren Reserven abgebaut. Nun sind sie aber aufgebraucht.»
K-Tipp-Recherchen zeigen jedoch: Die Versicherungen mussten 2022 keine «Kostenschwankungen abfedern». Die Krankheitskosten stiegen 2022 laut Bundesamt für Gesundheit nur um 2,6 Prozent. Das entspreche dem langjährigen Durchschnitt.
Hohe Überschüsse aus Prämiengeldern
Hinzu kommt: Die Krankenkassen verfügen sehr wohl über enorme Geldpolster. Ende 2020 erreichten die Reserven aller Kassen rekordhohe 12 Milliarden Franken. Das ist doppelt so viel Geld, wie sie laut ihren eigenen Berechnungen für schlechte Jahre hätten sparen müssen. Ein Jahr später waren die Reserven noch immer auf diesem Rekordstand.
Die Zahlen für Ende 2022 gab das Bundesamt für Gesundheit vor kurzem bekannt. Der K-Tipp hat anhand dieser Daten die überschüssigen Reserven der zehn grössten Krankenversicherungen berechnet. Das Resultat: Neun von zehn Versicherungen verfügten Anfang 2023 zwar über tiefere Reserven als im Rekordjahr 2021 – aber noch immer über 2,5 Milliarden Franken mehr als gesetzlich vorgeschrieben. Mit diesem Betrag könnten die Prämien der gesamten Bevölkerung für ein Jahr um mindestens 6 Prozent gesenkt werden.
Die Zahlen zeigen: Die grösste Reserve hortet die Helsana. Sie beträgt zurzeit nicht weniger als 1,2 Milliarden Franken. Das sind 40 Millionen weniger als im Vorjahr – aber 537 Millionen Franken mehr, als die Versicherung haben müsste. Ähnlich sieht es bei der Visana aus, die kaum Reserven abgebaut hat. Gegenwärtig verfügt sie über einen Überschuss von 1,1 Milliarden Franken. Das sind 553 Millionen Franken mehr als vorgeschrieben.
Die Reserven der Concordia schrumpften zwar um 16 Millionen auf 975 Millionen Franken. Das Polster der Kasse ist damit aber immer noch mehr als doppelt so hoch wie die gesetzlich vorgeschriebenen 420 Millionen Franken: Die vorhandene Reserve beträgt 555 Millionen Franken.
Nur die Assura ohne Überschuss
Bei der CSS betragen die Reserven zurzeit 940 Millionen Franken. Das sind 421 Millionen Franken mehr als erforderlich. Auch die Sanitas hat mit 150 Millionen Franken ein zu grosses Geldpolster. Das Gleiche gilt für die Vivao Sympany: Ihre Reserven verringerten sich zwar auf 250 Millionen Franken – das sind aber immer noch 121 Millionen Franken mehr als gesetzlich vorgeschrieben.
Etwas weniger hoch sind die Reserven bei KPT, Groupe Mutuel und Swica: Sie betragen zwischen 94 und 74 Millionen Franken. Gemäss den Zahlen des Bundes verzeichnet die Assura als einzige der grossen Kassen keine Überschüsse: Sie verfügt über eine Reserve von 377 Millionen Franken – 386 Millionen weniger als im Vorjahr und 170 Millionen Franken weniger, als sie in der Bilanz eigentlich ausweisen müsste. Die Assura nahm dazu gegenüber dem K-Tipp nicht Stellung.
Kassen weisen hohe Börsenverluste aus
Vertreter der Krankenkassen wie der Krankenkassenverband Curafutura sowie die Sympany begründeten die geschrumpften Reserven mit dem schlechten Börsenstand Ende 2022. Die Krankenkassen legten die überschüssigen Prämiengelder der vergangenen Jahre an der Börse an.
Börsenverluste sind keine realen Verluste. Steigen die Aktienkurse wieder, vergrössern sich auch die Reserven. Von Anfang Jahr bis Mitte August legte der Swiss Performance Index, der den Schweizer Aktienmarkt abbildet, um über 5 Prozent zu.