Jeden Abend bei Ladenschluss bleibt in den Theken der Läden Frischfleisch liegen, das am nächsten Tag nicht mehr verkauft werden darf. Auf den Packungen steht «zu verbrauchen bis …»
An diesem letzten Verkaufstag ist das Fleisch bedenkenlos konsumierbar. Doch die grossen Fleischverkäufer Migros und Coop sammeln es ein und vernichten es – noch immer in Plastik verschweisst – in Biogasanlagen. Rund 5000 Tonnen Fleisch pro Jahr werden so entsorgt. Das ergibt eine Umfrage des K-Tipp bei mehreren Biogasanlagen.
Claudio Beretta, wissenschaftlicher Autor diverser ETH-Studien über Lebensmittelverschwendung, bestätigt diese Schätzung. 5000 Tonnen Fleisch entsprechen dem jährlichen Fleischkonsum von rund 100 000 Schweizern.
Fleisch vergärt zu Biogas
Bell ist einer der grössten Fleischverarbeiter des Landes und Hauptlieferant von Coop. Bell entsorgt Frischfleisch unter anderem in der Kompostier- und Biogasanlage Oensingen SO. Woche für Woche zwischen zwei und drei Tonnen. Das bestätigt der Betreiber. Eine Maschine zerhackt das hochwertige Lebensmittel samt Plastikverpackung in kleine Stücke. Die Maschine scheidet anschliessend das Plastik vom Fleisch aus. Dieses vergärt dann bei 56 Grad zu Biogas.
Fleisch ist ein hochwertiges Lebensmittel. Die ganze Produktion ist stark subventioniert (siehe Kasten). Die Grossverteiler könnten es am letzten Tag des Verbrauchsdatums aus dem Kühlschrank nehmen, neu etikettieren, einfrieren, zu einem reduzierten Preis anbieten oder einer karitativen Organisation spenden. Dies erlaubt der Bund ausdrücklich. Er empfiehlt in einem Informationsschreiben: «Solche Lebensmittel müssen mit dem Einfrierdatum plus 90 Tage gekennzeichnet werden. Diese können bei Einhaltung der Tiefkühlkette an Konsumenten abgegeben werden.»
Nach dem Auftauen müsse das Fleisch innert 24 Stunden konsumiert werden. Mit solchen Massnahmen will der Bund die Lebensmittelvernichtung bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent senken.
Die Grossverteiler Coop und Migros haben diesen Aktionsplan des Bundes mitunterzeichnet. Trotzdem vergasen sie weiterhin essbares Frischfleisch, statt es einzufrieren und zu verschenken.
Coop erklärt dies auf Anfrage des K-Tipp damit, man könne «die Vorgaben zur vollständigen Gewährleistung der Kühlkette nicht umsetzen».
Die Migros nimmt zu dieser Frage inhaltlich nicht Stellung. Sie schreibt, die Planung stelle eine Herausforderung dar. Die Einkäufe würden insbesondere in der Grillsaison direkt mit dem aktuellen Wetter zusammenhängen.
Globus zeigt, dass es auch anders geht
Claudio Beretta, heute wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule ZHAW sowie Präsident des Vereins Foodwaste.ch, kritisiert die Haltung der Grossverteiler: «Jede Tonne Fleisch, die in der Biogasanlage landet, ist eine enorme Lebensmittelverschwendung, weil das Fleisch problemlos konsumierbar wäre.»
Besser macht es die ehemalige Migros-Tochter Globus in Zürich. Sie bringt das in den Theken liegengebliebene Frischfleisch direkt an die Gratisessensausgabe für Arme und Obdachlose an der Zürcher Europaallee. Die Betreiberin und Gründerin des Vereins Incontro, Schwester Ariane Stocklin, sagt dazu: «Fleisch ist hier sehr willkommen und begehrt.»
Auch der Verein «Tischlein deck dich», der Lebensmittel an arme Menschen verteilt, würde gerne tiefgefrorenes Frischfleisch von Grossverteilern abgeben.
Fleisch ist teuer und klimaschädlich
In jedem Kilogramm Fleisch stecken Fr. 3.70 der Steuerzahler. Dabei handelt es sich gemäss einer Studie des Vereins Vision Landwirtschaft um Subventionen, die der Staat an die Produktion von Fleisch zahlt. Mit der Vergasung von 5000 Tonnen Frischfleisch vernichten die Detailhändler jedes Jahr 18 Millionen Franken Steuergelder.
Zudem verursacht die Produktion von Fleisch viele klimaschädliche Treibhausgase. Laut Claudio Beretta von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften sind das bei 5000 Tonnen entsorgtem Fleisch 51 000 Tonnen klimaschädliches CO2. Das ist gleich viel, wie 4000 Autos bei einer Fahrt um die Erde ausstossen würden.