Zusatzstoffe wie E215, E338 und E951 gelten als riskant. Gemäss der Universität Strassburg und Food-detektiv.de können sie Verdauungsstörungen, allergische Reaktionen sowie in seltenen Fällen schwere Hirn- und Nervenschäden verursachen. Dennoch darf die Industrie diese Stoffe zur Herstellung von Lebensmitteln verwenden.
Festgehalten ist dies im Codex Alimentarius, dem Lebensmittelkodex der Welternährungs- und der Weltgesundheitsorganisation. Was dort drinsteht, wird an internationalen Konferenzen bestimmt.
Gemäss dem Schweizer Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen ist dieser Kodex «eine Sammlung von Richtlinien und Empfehlungen, die den Verbrauchern unbedenkliche und unverfälschte Lebensmittel garantieren sollen». Der Haken: Was für die Konsumenten «unbedenklich» und «unverfälscht» ist, bestimmen Nahrungsmittel- und Chemiekonzerne entscheidend mit.
Firmen-Lobbyisten am Schweizer Tisch
Solche Kodex-Treffen finden jedes Jahr mehrmals statt. Sie behandeln jeweils ein spezielles Thema – zum Beispiel «Schadstoffe», «Spezialernährung» und «Zusatzstoffe». Alle Kodex-Mitgliedstaaten dürfen eine Delegation entsenden.
Ein Blick in über 20 Protokolle aus den letzten Jahren zeigt: In diesen Delegationen sitzen regelmässig die Vertreter von Nahrungsmittel- und Chemiekonzernen. Diese bestimmen etwa mit, wie viel von einem bestimmten Zusatzstoff in Lebensmitteln eingesetzt werden darf – etwa vom umstrittenen Süssstoff Aspartam (E951).
Auch in der Schweizer Delegation sind immer wieder Industrie-Lobbyisten dabei. Fünf von ihnen sassen etwa 2008 beim Treffen für Zusatzstoffe neben zwei Behördenvertretern am Schweizer Tisch. Dies machte der deutsche Ernährungskritiker Hans-Ulrich Grimm in seinem Buch «Die Ernährungsfalle – wie die Lebensmittelindustrie unser Essen manipuliert» publik. Anwesend waren die Pharmafirma Givaudan, der Vitamin- und Zusatzstoffkonzern DSM sowie Nestlé. Am Treffen zu Schadstoffen vertraten 2011 eine Mitarbeiterin des Bundesamts für Gesundheit und ein Nestlé-Mann die Schweiz.
Im November 2015 drehte sich ein Treffen in Deutschland um Babynahrung. In der Schweizer Delegation: je ein Vertreter von DSM und Nestlé. Am jüngsten Treffen zu Zusatzstoffen, das Mitte März in China stattfand, war die Schweizer Delegation klein. Sie bestand nur gerade aus einem einzigen Vertreter des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit.
Einfluss auch hinter den Kulissen
Das heisst aber nicht, dass die Nahrungsmittelindustrie keine Möglichkeit gehabt hätte, die Position der Schweiz zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Entsprechende Beschlüsse wurden nämlich an einer Sitzung gefasst, die kurz vor dem Treffen stattgefunden hatte. Mit am Tisch: ein DSM-Mann und ein Lobbyist der internationalen Fruchtsaftproduzenten. Das zeigen Recherchen des K-Tipp.
Organisiert hatte diese Sitzung das Bundesamt. Erstaunlich: Die Anwesenheit von Firmen-Lobbyisten ist ausdrücklich erwünscht. «Wer Inputs geben will, darf das machen», schreibt das Bundesamt. Auch das Ungleichgewicht in den Delegationen ist für die Behörde kein Problem: «Das Bundesamt lädt die Behörden-, Konsumenten- und Wirtschaftsvertreter zur Teilnahme an der Schweizer Delegation ein. Über die konkrete Teilnahme entscheiden diese Vertreter selber.»