Forscher der Universität Bern röntgten 150 Legehennen über einen Zeitraum von zehn Monaten. Resultat: 97 Prozent sämtlicher Tiere hatten ein gebrochenes Brustbein. Im Durchschnitt hatte jedes Huhn drei Knochenbrüche – bei einzelnen Tieren waren es sogar elf.
Das Ausmass des Problems ist grösser als bislang bekannt: Bei früheren Studien blieben viele Brüche unentdeckt, weil die Knochen nur abgetastet und nicht geröntgt wurden. Das vermutet Michael Toscano, Leiter des Zentrums für tiergerechte Haltung an der Uni Bern. Den Hühnern sehe man den Schmerz oft nicht an. Es sei aber belegt, dass die Tiere Schmerzen haben: «Hennen mit gebrochenen Knochen bewegen sich weniger. Sie brauchen länger beim Absteigen von ihren Sitzstangen. Und sie wählen zum Trinken häufiger Wasser, das Schmerzmittel enthält», so Toscano.
Kalzium für Eierschale fehlt in den Knochen
Die Brüche haben gemäss den Forschern verschiedene Ursachen. Klar ist: Die Knochen der hochgezüchteten Hühner sind brüchig. Eine Legehenne legt pro Jahr im Durchschnitt 323 Eier, also fast jeden Tag ein Ei. Das Kalzium für die Eierschale zieht das Tier aus den Knochen. Die Tiermediziner vermuten, dass sich die Knochen davon nicht erholen und porös werden.
Eine weitere Möglichkeit: Die Tiere beginnen zu jung mit dem Eierlegen, wenn die Knochen noch zu wenig entwickelt sind. So kann das Brustbein schon bei einem heftigen Flügelschlag, einem Zusammenprall mit der Sitzstange oder durch den Druck auf die Knochen beim Eierlegen brechen.
Der Bund schreibt seit 2018 für neue Volieren Rampen vor. So können die Hühner die verschiedenen Etagen auch ohne Fliegen oder Springen hoch- und runterklettern. Diese Massnahme senkt die Zahl der Knochenbrüche gemäss Studien der Universität Bern um bis zu 20 Prozent, weil die Tiere weniger anstossen und abstürzen. Der Verband der Eierproduzenten Gallosuisse empfiehlt Bauern, ältere Volieren ebenfalls mit Rampen zu versehen.
Legehennenzucht in der Hand weniger Konzerne
Doch für Hanno Würbel, Professor für Tierschutz an der Vetsuisse-Fakultät Bern, ist das nur Symptombekämpfung: «Mit der heutigen Hal-
tung und der Zucht von Hühnern sind Schmerz und Leiden für viele Tiere unvermeidbar. Und das ist einfach nicht haltbar.»
Das Ausmass des Leids ist enorm. Denn Eierproduzenten halten weltweit die gleichen Hochleistungsrassen: Ob «Lohmann Brown» oder «Selected Leghorn», die Zucht von Legehennen ist in der Hand weniger Konzerne wie der deutschen EW Group oder der niederländischen Hendrix Genetics. Professor Hanno Würbel: «Es sind fast alle in der Schweiz eingesetzten Legehennen in allen Haltungsformen betroffen, also auch Freiland- und Bio-Betriebe.»
Die Konzerne arbeiten daran, Hennen zu züchten, die weniger anfällig für Knochenbrüche sind. Darauf setzen auch der Bund und die Eierproduzenten. Nadja Brodmann vom Zürcher Tierschutz bezeichnet das als eine Sackgasse: «Wir brauchen Hühner, die robuster sind und weniger Eier legen. Die heutige Hochleistungszucht führt zwangsläufig zu Tierleid und verstösst deswegen gegen das Gesetz.»
Zweinutzungshühner als Alternative
Die Tierschutzorganisation rät, auf Zweinutzungshühner auszuweichen, die neben Eiern auch Fleisch geben. Diese legten 70 bis 100 Eier weniger pro Jahr und dürften somit deutlich weniger von Brüchen betroffen sein. Das Problem: Von 3,4 Millionen Legehennen in der Schweiz sind nur knapp 20 000 Tiere Zweinutzungshühner.
Katerina Stoykova von der Stiftung Tier im Recht geht noch weiter: «Die heutigen Legehennen sind Qualzuchten. Wie die Zucht gehört auch der Import verboten. Der Bundesrat ist nach Tierschutzgesetz dazu befugt.»
Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen aber lehnt ein Importverbot für Zuchthennen ab. Das Argument: Dann würden die Eier einfach direkt aus dem Ausland importiert.
Wann gibt es Eier ohne Tierleid? Die Antworten der Händler
Migros
«Die Thematik betrifft die gesamte Branche. Wir können Ihnen hierzu keine weiteren Auskünfte geben.»
Coop
«Die Bio-Eier unter dem Label Zweinutzungshuhn sind in 160 grösseren Coop-Supermärkten erhältlich. Es wird davon ausgegangen, dass ein späterer Legebeginn und eine tiefere Legeleistung, wie es bei den Zweinutzungshühnern der Fall ist, weniger Brustbeinfrakturen zur Folge haben.» Aktuell gebe es 12 000 Zweinutzungshühner auf sechs Höfen bei total 3,4 Mio. Legehennen.
Bio Suisse
Auf die Frage, wie sich die vielen Knochenbrüche bei Legehennen mit dem Bio-Versprechen vereinbaren lassen, gibt der Bio-Verband Bio Suisse keine Antwort. Es gebe bereits diverse Knospe-Betriebe, die Zweinutzungshühner halten. «Diese vertreiben die Eier und das Fleisch über eigene Kanäle.» Kunden müssten warten – bis 2026. Ab dann würden die Bio-Suisse-Betriebe verstärkt auf das Zweinutzungshuhn setzen.
Demeter
«Demeter stellt zurzeit auf Zweinutzungshühner um: Bis Ende dieses Jahres sind wir bei 20 Prozent. Diese Hühner sind auf den Bio-Landbau ausgerichtet und legen nur 220 bis 240 Eier im Jahr.» Die Bauern vermarkten ihre Eier direkt. Eine Liste der Betriebe, die bereits Zweinutzungshühner halten, unter: www.ktipp.ch/zweinutzungshuehner
ProSpecieRara
Eier von alten Schweizer Hühnerrassen gibt es über die Stiftung Pro Specie Rara. Mehr Informationen: www.prospecierara.ch/karte -> Pro-Specie-Rara-Produkte -> Eier