Lobbyarbeiten», «Öffentlichkeits-/Kampagnenarbeit» und «Krisenkommunikation»: Diese Aufgaben erledigt die PR-Agentur Dachcom im Auftrag der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren. Das Budget beträgt 3,3 Millionen Steuerfranken, wie aus Akten hervorgeht, die dem K-Tipp vorliegen.
Die Werbeagentur soll der Öffentlichkeit und dem Parlament ein Projekt schmackhaft machen, das bereits viel Kritik einstecken musste. Justizbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte wollen eine landesweite elektronische Plattform für Justizakten einführen. Anwälte sollen per Gesetz gezwungen werden, ihre Eingaben über die elektronische Plattform mit dem Namen «Justitia.Swiss» einzureichen, Akten über diesen Weg einzusehen und Sendungen der Behörden entgegenzunehmen.
Zweifel an Sicherheit der heiklen Daten
Das Projekt betrifft alle 300 Schweizer Gerichte sowie die Staatsanwaltschaften aller Kantone und des Bundes. Laut den Verantwortlichen soll «Justitia.Swiss» bis ins Jahr 2027 rund 89 Millionen Franken kosten. Später kommen weitere Ausgaben für den Betrieb der Plattform hinzu.
Das Bundesamt für Justiz arbeitete einen ersten Entwurf für ein Gesetz aus. Dieser kam bei mehreren kantonalen Anwaltsverbänden nicht gut an: Sie haben Zweifel, dass die Plattform zuverlässig funktioniert und die äusserst heiklen Daten ausreichend vor Datendiebstahl durch Hacker geschützt sind.
Die Leitung des Projekts hat die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren. Seit 2019 kostete die Werbung der Genfer PR-Agentur Enigma bereits 140 000 Franken. Jetzt sollen die Propaganda und das Lobbying noch massiv ausgebaut werden, bevor das Parlament über das Gesetz zur elektronischen Justiz berät. Das Budget für die Ostschweizer PR-Agentur Dachcom sieht für die nächsten 7 Jahre bis zu 2400 Stunden für Lobbying, Medienarbeit und öffentliche Kampagnen vor – auf Kosten der Steuerzahler. Das Geld soll den Projektverantwortlichen dabei helfen, Kontakte mit wichtigen Politikern, Justizdirektoren und Anwälten zu knüpfen, Medienkonferenzen abzuhalten, sich auf Gespräche mit Journalisten vorzubereiten und «Justitia.Swiss» über Plakate, TV-Spots oder Inserate in der Bevölkerung beliebt zu machen. Weiter soll die Agentur an mindestens zehn Veranstaltungen zur elektronischen Justizplattform je 70 bis 80 Fotos und mindestens 35 Videos mit den wichtigsten Pro-Argumenten produzieren. Zudem eine Internetseite betreuen, Schulungsunterlagen erstellen und monatlich neue Vorschläge für Werbeaktivitäten machen.
Brisant: Die Dachcom soll auch eine PR-Strategie für «mögliche Krisenszenarien» entwickeln. Dafür kann die Agentur bis zu 800 Stunden aufwenden. Die Projektgruppe, bestehend aus den kantonalen Justizdirektoren und Vertretern des Bundesamts für Justiz, nennt selbst in ihrem Pflichtenheft bereits drei «mögliche Krisenszenarien», die auf «Justitia.Swiss» zukommen könnten: «Verzögerungen im Projekt», «Finanzen laufen aus dem Ruder» und «Hacking der Plattform». Laut der Pressesprecherin des Projekts will man sich mit dem Steuergeld «auf kritische Situationen vorbereiten». Das gesprochene Budget von 3,3 Millionen Franken werde «nicht zwingend ausgeschöpft».
Experten befürchten ein «IT-Debakel»
Ein Hacking der Plattform wäre gravierend: Prozessparteien, Behörden und Drittpersonen könnten mit Hilfe von Spezialisten die höchst sensiblen Gerichtsdokumente manipulieren, kopieren oder löschen. Die Projektverantwortlichen wollten die elektronische Justizplattform ursprünglich in die Hand eines privaten Unternehmens geben. Nach der Abstimmungsniederlage der elektronischen ID im vergangenen Jahr erscheint dies laut Sitzungsprotokoll mittlerweile politisch als «nicht mehr opportun».
Computerexperten warnen vor der Gefahr, dass geheime Gerichtsakten in fremde Hände gelangen: Der Verein Digitale Gesellschaft schaute sich das Projekt genau an und sprach von einem drohenden «IT-Debakel» und einem «weiteren Millionengrab bei einem IT-Projekt des Bundes».
Amts- und Anwaltsgeheimnis gefährdet
Wer einen Anwalt aufsucht, verlässt sich darauf, dass Gespräche und Akten vertraulich bleiben. Anwälte, die dieses Berufsgeheimnis verletzen, müssen gemäss Strafgesetzbuch mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Die gleiche Strafdrohung gilt für das Personal der Gerichte, wenn es das Amtsgeheimnis verletzt.
Anwälte befürchten, dass das Berufsgeheimnis mit der Einführung einer landesweiten digitalen Justizplattform nicht mehr garantiert wäre: «Der Datenschutz wird in der Vorlage des Bundesrates stiefmütterlich behandelt – er ist fast nicht existent», kritisierte etwa der Zürcher Rechtsanwalt Gregor Münch unlängst in der Fachzeitschrift «Plädoyer» (Ausgabe 6/2021). Seien die Daten eines Verfahrens auf einer zentralen Plattform gespeichert, könnten Betreiber und Dritte alles einsehen, ohne Spuren zu hinterlassen.
Im gleichen «Plädoyer» verwies der Basler Advokat Roman Schnyder darauf, dass «mächtige staatliche sowie nichtstaatliche Unternehmen und Organisationen über Mittel und Spezialisten verfügen, um an solche Daten zu kommen». Schnyder rechnet bei Einführung des Zwangs zur elektronischen Prozessführung auch mit einer «deutlichen Verteuerung der Dienstleistung». Dazu kämen die hohen Kosten der Gerichte, welche auf die Prozessparteien und die Steuerzahler überwälzt würden.