Ende August beschlossen die Regierungen der Kantone Basel-Stadt, Freiburg, Solothurn, Wallis und Zürich, dass die Konsumenten künftig beim Einkaufen eine Gesichtsmaske tragen müssen. Andere Deutschschweizer Kantone erwägen diesen Schritt.
Begründet wurde der Maskenzwang teilweise mit präventiven Überlegungen. So soll damit die Zahl der Neuansteckungen mit dem Coronavirus verringert werden. Die Zürcher Stadtpräsidentin Corinne Mauch (SP) und Silvia Steiner (CVP), Präsidentin des Zürcher Regierungsrats, argumentierten mit der Symbolwirkung der Massnahme. Die Maskenpflicht erinnere die Konsumenten daran, dass die Krankheit noch da ist.
Die verfügbaren Zahlen sprechen nicht für eine Maskenpflicht in Läden. In der Westschweiz, wo teils schon seit Juli eine Maskenpflicht gilt, gingen die Corona-Fälle seither nicht zurück, sondern nahmen sogar stark zu. Dies zeigen die Zahlen, welche die Kantone dem Bund meldeten.
Im Kanton Waadt muss man in den Läden seit dem 8. Juli eine Maske tragen. Seit diesem Zeitpunkt wurden mehr als 720 neue Fälle von Infektionen festgestellt. Im gleichen Zeitraum (sechs Wochen) vor Einführung der Pflicht waren es rund 210 Fälle. Die Zahl der Tests und der Anteil positiver Befunde sind nicht bekannt.
Maskenpflicht in Genf: Trotzdem mehr Fälle
Auch der Kanton Genf verzeichnet seit Einführung der Maskenpflicht am 28. Juli viel mehr neue Fälle als davor. In den vier Wochen vor diesem Datum wurden rund 390 neue Corona-Infektionen erfasst. In den vier Wochen danach waren es etwa 1060. Damit stieg in Genf die Fallzahl sogar stärker an als im Rest der Schweiz.
Nach der Einführung der Maskenpflicht wurde allerdings auch mehr getestet als vorher. Aber die Entwicklung ist offensichtlich: In den sechs Wochen vor Einführung der Maskenpflicht in Genf lag der Anteil der Infizierten unter den Getesteten zwischen 0,3 und 1 Prozent, nachher stieg er bis 8,5 Prozent (Woche 33).
Eine Maskenpflicht führt also nicht nachweisbar zu weniger Ansteckungen. Das zeigt auch eine Auswertung dieser Massnahme im öffentlichen Verkehr. Vom Ende des Lockdowns bis Anfang Juli lag der Anteil der Infizierten unter den Getesteten in der Schweiz bei knapp 1 Prozent. Dann verfügte der Bundesrat ab 6. Juli landesweit eine Maskenpflicht in Bahn und Bus. Seitdem stieg die Zahl der positiven Testresultate von Woche zu Woche bis Mitte August auf 3,7 Prozent.
Das zeigt: Der Nutzen der Maskenpflicht ist nicht belegt. Der Chef der Zürcher Ärztegesellschaft, Josef Widler, hält sie in Läden für fraglich. «Erstens ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, sich in einem Laden anzustecken. Und zweitens funktionieren die bisherigen Massnahmen gut.»
Die Maskenpflicht werte die Anstrengungen der Geschäfte und der Kunden ab: Abstand halten, Eintrittsbeschränkung, Plexiglas. Es fehle eine stichhaltige Begründung für die Tragepflicht. Auch für Epidemiologe Marcel Salathé von der ETH Lausanne ist die Maskenpflicht in Läden nicht entscheidend. Das sei ein «Nebenschauplatz», sagte er gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Diese Haltung vertraten anfänglich auch der Bundesrat und die Verantwortlichen im Bundesamt für Gesundheit. Eine Maskenpflicht sei «der falsche Weg», hiess es noch im April. Heute ist die Mehrheit des Bundesrats offenbar anderer Ansicht.
Umstrittener Eingriff in Grundrechte
Auch in den Kantonsregierungen sind die Meinungen geteilt. Die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP) kommentierte das Maskenobligatorium zwei Tage vor der Einführung in ihrem Kanton auf Twitter: «Hospitalisierungsrate sehr tief, Reproduktionsfaktor kleiner als 1, das Risiko, durch Covid gesundheitliche Schäden zu erleiden, aktuell sehr tief. Rechtfertigt das jetzt Grundrechtseingriffe?» Rechtsprofessor Markus Schefer von der Uni Basel sagt dazu: «Die Pflicht, das Gesicht in geschlossenen Räumen abzudecken, greift in das Grundrecht der persönlichen Freiheit ein.» Die Behörden würden aber öffentliche Interessen geltend machen. Daher sei die Massnahme zulässig.
Rechtsprofessorin Eva Maria Belser von der Uni Freiburg kommt zu einem anderen Schluss: Viele Läden seien geräumig, die Leute bewegten sich und blieben oft nur kurz. «Meines Wissens gibt es keine Hinweise darauf, dass es in Verkaufsläden oft zu Ansteckungen kommt.» Deshalb sei es fraglich, ob eine Maskenpflicht in Verkaufsläden eine geeignete Massnahme darstelle – «wenn sie nicht ergriffen wurde, um Ansteckungen zu vermeiden, sondern um die Leute daran zu erinnern, dass das Virus noch da ist». Es gäbe bessere Mittel, um dieses Ziel zu erreichen – «und zwar solche, welche die persönliche Freiheit nicht einschränken».