Mehr Geld für Geschädigte
Mehr als 3 Prozent Ertrag gibt der Markt heute nicht her, behaupten die Versicherungen. Unfallopfer sollen aber 3,5 Prozent erwirtschaften.
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K-Tipp 17/2002
16.10.2002
Ernst Meierhofer emeierhofer@ktipp.ch
Es ist allgemein bekannt: Die grossen Versicherungen wie Rentenanstalt, Zürich oder Winterthur wollen den Mindestzinssatz für Pensionskassengelder senken.
Derzeit müssen sie die Altersgelder der Versicherten mit 4 Prozent verzinsen. Doch das liege angesichts der heutigen Lage an den Kapitalmärkten nicht länger drin, argumentieren sie. Die Zürich schreibt klipp und klar: «Die derzeitige Situation auf den Anlagemärkten erlaubt keinen höheren Mindestzinssatz als 3 Prozent.»...
Es ist allgemein bekannt: Die grossen Versicherungen wie Rentenanstalt, Zürich oder Winterthur wollen den Mindestzinssatz für Pensionskassengelder senken.
Derzeit müssen sie die Altersgelder der Versicherten mit 4 Prozent verzinsen. Doch das liege angesichts der heutigen Lage an den Kapitalmärkten nicht länger drin, argumentieren sie. Die Zürich schreibt klipp und klar: «Die derzeitige Situation auf den Anlagemärkten erlaubt keinen höheren Mindestzinssatz als 3 Prozent.»
Solche Aussagen stehen im krassen Gegensatz zum Verhalten, das die gleichen Versicherungsgesellschaften gegenüber Geschädigten an den Tag legen. Ihnen muten sie nach wie vor zu, dass sie mit ausbezahlten Entschädigungsgeldern eine Nettorendite von 3,5 Prozent erzielen.
Gemeint sind Gelder, die Geschädigte von der Haftpflichtversicherung eines «Schädigers» erhalten. Wenn beispielsweise ein Autofahrer einen Fussgänger anfährt und das Opfer invalid wird, muss die Haftpflichtversicherung des Autofahrers dem Fussgänger - unter anderem - seinen künftigen Lohnausfall ersetzen.
Diesen Lohnersatz können sich Geschädigte bis zur Pensionierung jährlich auszahlen lassen. In den meisten Fällen erfolgt aber eine einmalige Kapitalabfindung bar auf die Hand.
Die Berechnung dieser Kapitalabfindung geschieht anhand der so genannten Barwerttafeln. Beispiel: Erleidet eine 38-jährige Teilzeitangestellte eine von den Sozialversicherungen nicht gedeckte anfängliche Einkommenseinbusse von 4124 Franken pro Jahr, so ergibt das - hochgerechnet bis zum Pensionierungsalter 64 - eine einmalige Kapitalauszahlung von 218 900 Franken (unter Berücksichtigung von jährlichen Lohnerhöhungen von 1,5 Prozent).
Dieses Geld können die Empfänger anlegen, während sie davon zehren.
Genau hier kommen die erwähnten 3,5 Prozent ins Spiel. Die aktuellen Barwerttafeln gehen nämlich davon aus, dass Geschädigte - in der Regel Einzelpersonen ohne jegliche professionelle Anlegerkenntnisse - ihr Geld als Laien so anlegen können, dass nach Abzug der Inflation und der Vermögensverwaltungskosten 3,5 Prozent Zins aufs Konto fliessen.
Auch die Versicherungen rechnen mit diesen 3,5 Prozent. Genau jene Gesellschaften also, die andererseits behaupten, sie selber könnten bei Pensionskassengeldern höchstens 3 Prozent oder noch weniger erwirtschaften - trotz den vielen Spezialisten für Vermögensverwaltung, die sich in den Versicherungspalästen um die Geldbewirtschaftung kümmern.
Diese offensichtliche Ungerechtigkeit wollen die spezialisierten Anwälte von Geschädigten jetzt vor Gericht bekämpfen. Der Zürcher Geschädigtenanwalt Felix Rüegg von der Opferberatungsstelle U.P.: «Wir haben beschlossen, künftig unseren Schadensberechnungen einen Kapitalisierungszinsfuss von 2 Prozent zu Grunde zu legen.»
Mit anderen Worten: Die auf Haftpflichtfälle spezialisierten Anwälte sind der Ansicht, einem Laien sei ein Realertrag unter Berücksichtigung der Teuerung von höchstens 2 Prozent zuzumuten.
Bereits laufen erste Prozesse vor Kantonsgerichten; bis sich das Bundesgericht damit befassen und den Zins eventuell senken wird, kann es noch Jahre dauern.
Bei den 2 Prozent stützen sich die Geschädigtenanwälte auch auf den Pensionskassenspezialisten und ehemaligen Professor Carl Helbling, der zum Schluss kommt, diese Realverzinsung habe in der Vergangenheit - langfristig betrachtet - 2 Prozent betragen.
Was ein Zinsfuss von 2 statt 3,5 Prozent ausmacht, lässt sich am Beispiel der erwähnten 38-jährigen Frau belegen: Die ausbezahlte Summe stiege von 218 900 auf 435 000 Franken.
Kein Wunder, sträuben sich die Versicherungen gegen diese Änderung des Zinsfusses: Es kämen massive Mehrkosten auf sie zu. Von sechs vom K-Tipp angefragten grossen Versicherungsgesellschaften ist denn auch keine einzige bereit, Geschädigte künftig freiwillig besser zu stellen.
Die Gesellschaften berufen sich dabei unisono auf einen Entscheid des Bundesgerichts vom Mai 1999. Damals hatten die höchsten Richter entschieden, angesichts des langfristigen Anlagehorizonts sei ein Kapitalisierungszinsfuss von 3,5 Prozent zumutbar. Zudem sei dieser Anlagehorizont bei Geschädigten länger als bei den Pensionskassengeldern.
Die Geschädigtenanwälte kritisieren aber, das Bundesgericht habe sich 1999 über Bedenken von namhaften Experten hinweggesetzt, welche die 3,5 Prozent schon damals als unrealistisch einschätzten.
Dagegen wenden die Versicherungen ein, Geschädigte könnten statt des Kapitals eine indexierte jährliche Rente verlangen. Das schliesse eine Benachteiligung aus.
Die Geschädigtenanwälte halten diesen Vorschlag für scheinheilig. Bis jetzt hätten sich die Versicherungen immer gegen jährliche Rentenzahlungen gesträubt, zudem seien Renten für die Geschädigten mit vielen Unsicherheiten verbunden: So ist beispielsweise unklar, ob laufende Renten angepasst werden können.
Hilfe für Geschädigte
Wer einen Unfall erleidet und anschliessend gar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt erwerbstätig sein kann, hat in der Regel von verschiedenen Versicherungen Leistungen zugut. Das Gleiche gilt, wenn jemand Opfer eines körperlichen Angriffs oder einer ärztlichen Fehlbehandlung wird.
Nebst den Heilungskosten, den materiellen Schäden und dem Schmerzensgeld spielt der künftige Lohnausfall eine entscheidende Rolle. Den zu berechnen ist nicht einfach - zumal hier auch noch Invalidenversicherung und Pensionskasse leistungspflichtig sind. Auch die Schätzung des künftigen «Lohnausfalls» einer Hausfrau ist kompliziert.
In solchen Fällen empfiehlt es sich, professionelle Hilfe zu suchen. Eine Möglichkeit sind die spezialisierten Anwälte der «Rechtsberatungsstelle für Unfallopfer und Patienten U. P.». Eine Beratung von rund 45 Minuten kostet 80 Franken.
Einen Termin können Sie vereinbaren unter der Gratis-Telefonnummer 0800 707 277 oder im Internet unter www.rechtsberatung-up.ch