Mehr Strassen, mehr Staus
Erweiterte Autobahnen und Tunnels ziehen Verkehr an; weniger Strassen hingegen reduzieren Staus, wie eine EU-Studie belegt. Beim Bundesamt für Strassen winkt man ab.
Inhalt
K-Tipp 20/2003
26.11.2003
Bernhard Matuschak - redaktion@ktipp.ch
Der Verkehr in der Schweiz nimmt weiter zu. Zwischen 1990 und 2000 stieg die Zahl aller von Privatfahrzeugen gefahrenen Kilometer um 15 Prozent. Und so sicher, wie die Zahl der zugelassenen Verkehrsmittel steigt, so sicher ertönt der Ruf nach zusätzlichen Autobahnspuren, Tunnelröhren und Umfahrungsstrassen. Dies zeigt auch die Avanti-Initiative, über die am 8. Februar 2004 abgestimmt wird.
Doch so sehr das Asphaltnetz auch wächst, die Staus werden weder kürzer noch weniger. ...
Der Verkehr in der Schweiz nimmt weiter zu. Zwischen 1990 und 2000 stieg die Zahl aller von Privatfahrzeugen gefahrenen Kilometer um 15 Prozent. Und so sicher, wie die Zahl der zugelassenen Verkehrsmittel steigt, so sicher ertönt der Ruf nach zusätzlichen Autobahnspuren, Tunnelröhren und Umfahrungsstrassen. Dies zeigt auch die Avanti-Initiative, über die am 8. Februar 2004 abgestimmt wird.
Doch so sehr das Asphaltnetz auch wächst, die Staus werden weder kürzer noch weniger. Verkehrsexperten fordern deshalb ein radikales Umdenken: Statt dem Stop-and-go-Verkehr auf den Strassen durch einen weiteren Ausbau des Strassennetzes erfolglos Paroli bieten zu wollen, sollten Verkehrsachsen redimensioniert oder stillgelegt werden.
Aktueller Hintergrund dazu ist eine Studie der Uni versity of London. Darin finden sich rund 100 Fälle aus aller Welt, darunter einige aus der Schweiz. Sie alle belegen, dass eine Totalsperrung oder die eingeschränkte Nutzung scheinbar unverzichtbarer Hauptverkehrsachsen keineswegs zu mehr Staus und Stillstand führen muss.
Bauarbeiten: Aber das Chaos blieb aus
Beispiel Europabrücke in Zürich: Als die doppelspurige Brücke Anfang der 90er-Jahre wegen Bauarbeiten nur einspurig befahrbar war, blieb das befürchtete Verkehrschaos aus. Viele Autofahrer wählten eine andere Route, um in die Stadt zu gelangen oder stiegen auf öffentliche Nahverkehrsmittel um. «Autofahrer reagieren flexibler, als man annimmt, und ändern ihr Verhalten relativ schnell, wenn sie wissen, dass man nicht mehr vorankommt», sagt Carmen Hass-Klau, Mitautorin der Studie, Verkehrsexpertin und Professorin an der deutschen Universität Wuppertal.
Beispiel Baregg-Tunnel: Zum Teil nachvollziehbar ist dieses Verhalten auch am Baregg-Tunnel, der 2004 fertig gestellt sein wird. Parallel zur Verschlechterung der Verkehrssituation sind immer mehr Autolenker den Spitzenzeiten ausgewichen. «Sie fahren früher oder später. Einige weichen örtlich aus, obwohl diese Routen unattraktiv sind», sagt Frank Rüede, Projektleiter der Abteilung Verkehr im Baudepartement des Kantons Aargau.
Die Anzahl Passagiere im öffentlichen Verkehr habe zugenommen, als die SBB den Anti-Stau-Zug einführten. «Speziell mit den zusätzlichen Erschwernissen während der Bauzeit verzichteten täglich einige Tausend Leute auf die Fahrt durch den Baregg-Tunnel. Teils liessen sie das Auto zu Hause oder man wählte ein anderes Ziel, teils wurde der Wohnort oder der Arbeitsort gewechselt. Wären all diese Personen auf der A1 geblieben, hätten wir heute täglich ein Mehrfaches der vorhandenen Staulänge», konstatiert Frank Rüede. Trotzdem glaubt er nicht daran, dass ein Verzicht auf den Ausbau der Autobahnen die Verkehrsprobleme löst.
Derartige Aussagen rufen den Widerspruch der Wuppertaler Wissenschaftlerin hervor: «Je mehr Kapazität bereitgestellt wird, umso mehr wird gefahren, umso voller sind die Strassen, bis die Kapazitäten wieder erschöpft sind.» Als Parade-beispiel nennt Hass-Klau Los Angeles. «Obwohl das Strassennetz massiv erweitert wurde, gab es immer zu wenig Platz für die Autos.» Die Leidtragenden seien die Autofahrer.
Beim Bundesamt für Strassen (Astra) in Bern reagiert man äusserst zurückhaltend auf derartige Aussagen. Andreas Gantenbein, Leiter der Abteilung Strategie und Forschung: «Es mag sein, dass eine attraktive neue Verkehrsverbindung zu mehr Verkehr führt, doch in den meisten Fällen geschieht dies eben nicht.»
Erst war die Nachfrage, dann die Autobahnen
Auch von der These, dass Strassenrückbau Staus verhindert, hält Gantenbein nicht allzu viel. «In der Schweiz war die Nachfrage zuerst da. Die Autobahnen wurden als Reaktion auf den Mobilitätsschub gebaut.»
Doch auch beim Astra ist man sich der Problematik des nach wie vor steigenden Mobilitätsbedürfnisses offensichtlich bewusst: Man hat eine Studie in Auftrag gegeben, die untersuchen soll, inwiefern Wirtschaftswachstum ohne Verkehrswachstum möglich ist.
Soll der Ausbau von Strassen eingeschränkt werden? Antworten Sie bitte auf www.ktipp.ch.