Mehr Süchtige, mehr Lohn
Spielbanken sind verpflichtet, Spielsucht zu bekämpfen. Nur: Croupiers und Sozialarbeiter haben gar kein Interesse, Süchtige vom Spielen abzuhalten.
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K-Tipp 15/2005
21.09.2005
Matteo Cheda - matteo.cheda@ktipp.ch
Die sozialen Folgekosten der Spielsucht belaufen sich auf über 90 Millionen Franken pro Jahr. In der Schweiz sind 40 000 Personen spielsüchtig. So das Resultat einer Studie, die das Bundesamt für Justiz in Auftrag gegeben hat.
Um eine Konzession zu erhalten, müssen die Casinos ein Sozialkonzept vorlegen, in dem sie darlegen, wie sie die Spielsucht konkret eindämmen wollen. Professor Jörg Häfeli von der Hochschule für Soziale Arbeit in Luzern hat ein entsprechendes Konzept ...
Die sozialen Folgekosten der Spielsucht belaufen sich auf über 90 Millionen Franken pro Jahr. In der Schweiz sind 40 000 Personen spielsüchtig. So das Resultat einer Studie, die das Bundesamt für Justiz in Auftrag gegeben hat.
Um eine Konzession zu erhalten, müssen die Casinos ein Sozialkonzept vorlegen, in dem sie darlegen, wie sie die Spielsucht konkret eindämmen wollen. Professor Jörg Häfeli von der Hochschule für Soziale Arbeit in Luzern hat ein entsprechendes Konzept für die Casinos Baden, Bern und Luzern entwickelt. Dieses sieht unter anderem vor: Croupiers müssen spielsüchtige Casino-Besucher als solche erkennen und sie auf Beratungsstellen hinweisen. Falls das nichts nützt, müssen die Betroffenen mit einer Casino-Sperre belegt werden.
Die enge Zusammenarbeit von Hochschulen und Casino-Lobby steht jedoch in der Kritik. Der Zürcher Psychiater und Spielsuchtexperte Mario Gmür zum Beispiel fordert, die Bekämpfung der Spielsucht müsse durch eine unabhängige Instanz erfolgen. Dazu kommt: Ob die Prävention wirkt, wird nur aufgrund der schriftlichen Konzept-Unterlagen des Casinos «kontrolliert».
Prävention in Casinos unerwünscht
Wer die Suchtbekämpfung in Casinos ernst nimmt, muss sogar mit Widerstand rechnen: Zwischen 2003 und 2005 war Sonia Tarchini in den Casinos Mendrisio und Locarno für die Prävention als Sozialarbeiterin zuständig. «In der Praxis konnte ich meinen Auftrag nie erfüllen», schreibt sie in einem Brief an die Eidgenössische Spielbankenkommission (ESBK), der dem K-Tipp vorliegt. Tarchini fühlte sich in ihrer Arbeit behindert. Wenn sie auf Missstände hingewiesen habe, hiess es, sie solle nur gerade das Allernötigste unternehmen, um die ESBK zu besänftigen. Beide Casinos bestreiten diese Vorwürfe.
Wie ihre Kollegen auch, hatte Sonia Tarchini einen Teil des Trinkgelds zugut, das die Gäste im Casino liegen liessen. Dementsprechend hat das Personal gar kein Interesse, die Süchtigen vom Spielen abzuhalten - im Gegenteil: Im Casino Zürichsee in Pfäffikon SZ zum Beispiel machen Trinkgelder bis zu einem Monatslohn pro Jahr aus.
Spielsüchtige bringen 80 Prozent des Geldes
Unter diesen Umständen erstaunt es nicht, dass Süchtige ungehindert bis zum Ruin weiterspielen können. In den Casinos Pfäffikon und Baden AG hat K-Tipp-Leser Bruno Mettler (Name geändert) innert zwei Jahren eine Million Franken verspielt. Trotzdem wollten die Casino-Angestellten von Mettlers Sucht offiziell nie etwas bemerkt haben. Dieser Vorwurf wird von beiden Casinos zurückgewiesen.
«Ohne Kunden, die über ihre Verhältnisse spielen, müssten die Spielcasinos dicht machen», ist Peter Küllmer, Stellenleiter der Baselbieter Suchtberatung, überzeugt. Mario Gmür schätzt gestützt auf Statistiken: «Rund 80 Prozent der Einnahmen der Casinos stammen von Spielsüchtigen. Ohne Kunden, die Einkommen, Ersparnisse, Kredite, vorbezogene Erbschaften usw. verspielen und so ihre Existenz ruinieren, haben Casinos null Überlebenschance und müssten wie ein Opernhaus subventioniert werden.»
Hier finden Spielsüchtige und deren Angehörige Hilfe:
- Schulden-Hotline: Telefon 031 371 84 84; www.schuldenhotline.ch
- www.glueck-im-unglueck.ch
- www.spielsucht-therapie.de
«Die Croupiers wussten, dass ich spielsüchtig war»
Bruno Mettler hat eine Million Franken in Casinos verjubelt - und niemand hat ihn daran gehindert.
«Bevor ich spielsüchtig wurde, lag mein Jahreslohn bei über 150 000 Franken. Eines Tages luden mich einige Freunde ins Casino Pfäffikon ein. Ich verlor 5000 Franken. Nach zwei Monaten waren alle meine Ersparnisse weg. Ich verspielte jeweils meinen ganzen Monatslohn, zahlte die Steuern und die Rechnungen nicht mehr, nahm Kleinkredite auf mit dem Vorwand, ich wolle ein Ferienhaus kaufen. Meine Leistungen im Büro gingen zurück, bis ich den Job hinschmiss. Ich verkaufte mein Haus und verspielte den ganzen Erlös. Ich gründete eine Firma, um das Geld der Pensionskasse vorzubeziehen. Dann verspielte ich es im Casino Baden.
Bei Freunden und Verwandten kratzte ich weitere 200 000 Franken Darlehen zusammen. Als auch dieses Geld verspielt war, liess ich mich auf Druck meiner Frau für alle Casinos sperren.
Jetzt bin ich zwar nicht mehr spielsüchtig, aber wegen meiner hohen Betreibungen finde ich keinen Job.
Insgesamt habe ich eine Million Franken verjubelt. Die Croupiers wussten sehr wohl, dass ich spielsüchtig war. Dennoch hat niemand eingegriffen. Im Gegenteil: Sie machten Druck, damit ich ihnen Trinkgeld gebe.»