Schönheitseingriffe mit Hyaluronsäure und Botox sind verbreitet. Das Ziel: Die Kundinnen wollen jünger aussehen. Die Stoffe werden mit einer Nadel in die Haut oder durch das Fett- und Muskelgewebe in die tieferen Gewebeschichten gespritzt – meist im Gesicht
Auch Anaïs Sutter (28) liess sich die Lippen aufspritzen. Bei Exito Beauty in Allschwil BL spritzte ihr die Kosmetikerin ohne vorgängige Beratung 1,5 Milliliter Hyaluronsäure – die dreifache Menge dessen, was bei einer Erstbehandlung üblich ist. Kosten: 290 Franken. Sutters Lippen waren danach drei Wochen geschwollen. Ihre Oberlippe verschob sich Richtung Nase. «Ich habe mich so geschämt», sagt die Baslerin. Für sie steht fest: «Meine Lippen spritze ich nie mehr auf.»
Der Eingriff der Kosmetikerin war illegal. Nur Ärzte dürfen Hyaluronsäure, die länger als 30 Tage im Körper bleibt, in die Lippen spritzen – oder Pflegefachleute, wenn sie über eine entsprechende Weiterbildung verfügen und unter direkter Aufsicht eines Arztes stehen, der im Haus anwesend ist. Das Nervengift Botulinumtoxin zum Glätten von Falten, bekannt als Botox, darf nur von Ärzten gespritzt werden.
«Einfachste Grundregeln ignoriert»
Wenn das Fachwissen fehlt, kann einiges schieflaufen: Möglicherweise entsteht ein Gerinnsel, wenn die Nadel eine Arterie trifft und der gespritzte Stoff sie verstopft. «Es kam auch schon vor, dass Kunden erblindet sind oder nach einer falsch gesetzten Spritze gelähmte Gesichtspartien hatten», sagt Thomas Fischer. Er ist Schönheitschirurg und Präsident der Gesellschaft für plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie. Zu Anaïs Sutters Fall sagt Fischer: «Hier wurden einfachste ästhetische Grundregeln ignoriert.»
Trotz Risiken sind Behandlungen von Falten und Lippen gefragt. Die Branche schätzt den Jahresumsatz aller ästhetischen Eingriffe in der Schweiz auf eine Milliarde Franken. Die Hälfte davon entfällt auf das Aufspritzen von Lippen und das Glätten von Falten. Die Kosmetikstudios nutzen die Nachfrage und locken Kundinnen mit Rabatten.
Stichprobe bei zehn Kosmetikstudios
Eine K-Tipp-Stichprobe zeigt nun: Viele Kosmetikerinnen führen diese Eingriffe in ihren Studios ohne die vorgeschriebene fachliche Unterstützung durch (siehe Tabelle in PDF). Der K-Tipp besuchte anonym zehn Studios in der Deutschschweiz. Fazit: In acht von zehn Studios hätten Kosmetikerinnen ohne ärztliche Ausbildung die Lippen aufgespritzt. Zudem war kein Arzt anwesend. In drei Studios wäre auch Botox illegalerweise gespritzt worden.
Mehrere Kosmetikstudios drängten die Testperson, die Behandlung sofort durchzuführen. In der Schönheitsklinik Beauty2go in Zürich wollte die Empfangsdame die Betäubungscreme auf die Lippen der Testperson auftragen, als diese im Wartezimmer das Gesundheitsformular ausfüllte – also noch vor dem Beratungsgespräch. Bei Orchimed in Bern fühlte sich die Testperson durch die Inhaberin gedrängt, einen verbindlichen Behandlungstermin abzumachen und im Voraus zu zahlen.
Ungefragt ins Kinn gespritzt
Inakzeptabel, was die 30-jährige Berisha F. im Kosmetikstudio Estheticamed in Allschwil BL erlebte: Die Kosmetikerin spritzte ihr nicht nur wie abgemacht Hyaluronsäure in Lippen- und Augenpartie, sondern ungefragt auch vorn ins Kinn, wie Berisha F. dem K-Tipp berichtete. Diese Behandlung führte zu einer Infektion, die ein Arzt mit Antibiotika behandeln musste. Das ist keine Lappalie: «Die Kinnpartie ist eine gefährliche Zone», warnt Facharzt Thomas Fischer. Denn wer ins Kinn sticht, kann leicht eine Arterie treffen. Mögliche Folgen: Blutgerinnsel und Absterben von Lippenpartien.
Kontrollen gibts nur auf Anzeige hin
Thomas Fischer zeigt sich erstaunt über das Resultat der K-Tipp-Stichprobe: «Ganz offensichtlich nehmen die Behörden ihre Kontrollaufgaben nicht wahr.» Verantwortlich für die Aufsicht über die Kosmetikstudios sind die Kantonsärzte und die Kantonsapotheker. Die Präsidenten beider Vereinigungen sagen, sie würden nur aufgrund von Meldungen Dritter Kontrollen durchführen. Das bedeutet also: Erst wenn jemand eine Anzeige gegen ein Kosmetikstudio eingereicht hat, wird kontrolliert.
Drei der acht fehlbaren Studios beantworteten die Fragen des K-Tipp nicht. Die Studios A. A. Beauty Clinic in Solothurn, Damnbeauty S in Lupfig-Birr AG, Isabella in Luzern, Center of Beauty in Reinach und Madame Beauty in Bern bestreiten, dass sie gesetzwidrig handeln. Ohne Arzt würden sie nur Behandlungen durchführen, die erlaubt seien.
Schönheitseingriffe: Das sollten Sie beachten
Lassen Sie sich vor einem Eingriff unbedingt von einem Arzt beraten – oder von einem Dermatologen mit entsprechender Ausbildung und Erfahrung. Erkundigen Sie sich über Qualifikationen und Ausbildung. Adressen von Fachärzten in Ihrer Umgebung finden Sie im Internet unter Plasticsurgery.ch/aerzte-fachpersonen.
- Nehmen Sie sich zwischen Beratung und Behandlung ein paar Tage Zeit zum Überlegen.
- Preise: Botox-Behandlung rund 300 Franken, Behandlung mit Hyaluron rund 400 Franken, je nach Menge des verwendeten Arzneimittels.
- Die Wirkung von Botox gegen Falten hält vier bis acht Monate. Hyaluron wirkt rund sechs Monate lang (Lippen) bis mehrere Jahre (Wangen).
- Mögliche Nebenwirkungen: Rötungen, Blutergüsse, Knoten unter der Haut, Infektionen, Schwellungen, allergische Reaktionen, Absterben von Hautpartien durch Verstopfung von Blutgefässen, Aussprache-, Trink- und Essstörungen, hängendes Oberlid und abgesackte Augenbraue.