Tiere nicht jagen, nicht an Ohren und Schwänzli ziehen, nicht vom Boden heben»: Das Verbotsschild vor dem Streichelzoo an der Zentralschweizer Frühlingsmesse Luga, die dieses Jahr 110 000 Besucherinnen und Besucher nach Luzern gelockt hat, ist klar. Doch wer schreitet ein, wenn sich übermütige Kinder im Messegelände nicht an diese Regeln halten? Niemand – zumindest nicht an jenem Vormittag, als der K-Tipp zusammen mit zwei Expertinnen des Vereins Schweizer Tierschutz STS bei der Luga unangemeldet vorbeischaute. Die Kritikpunkte:
Gestresste Hühner: Beim Gehege der Hühner zeigten sich die Tierschützerinnen schockiert: Vor den Augen des Aufsichtspersonals zogen Kinder die Tiere an den Federn und scheuchten sie durchs Gehege. Zeitweilig beteiligte sich selbst eine Aufseherin am Herumtragen und Streicheln der Hühner.
Ferkel in ihrer Box gestört: Auch die Schweine wurden von den Besuchern regelrecht in die Ecke gedrängt. Störend auch: Ziegen, Esel, Ponys und Kälber hatten keine Möglichkeit, sich in einen von den Besuchern abgetrennten Raum zurückzuziehen.
Für Zoologin Sara Wehrli vom STS steht fest: «In jedem Streichelzoo müssen Rückzugsorte für die Tiere vorhanden sein.» Besonders heikel: Die noch sehr jungen Ferkel konnten sich zwar nach dem Säugen in eine Box zurückziehen, zu der ihre Mutter keinen Zugang hatte. Der Haken: Die Besucher konnten den Deckel der Box nach Belieben öffnen – wovon sie auch regen Gebrauch machten.
100 Dezibel Lärm: An der Luga wurden die Kaninchen aus nächster Nähe von einem Lautsprecher beschallt, aus dem die laute Stimme eines Moderators dröhnte. Gemäss STS-Messungen lag der Pegel während des Kaninchen-Hindernisparcours bei rund 100 Dezibel. Das entspricht in etwa der Lautstärke eines Disco-Lautsprechers, der einen Meter entfernt steht. Besucher können diesem Lärm ausweichen – die Tiere nicht: Für das sehr empfindliche Hasenohr sei das «eine Qual», so Wehrli.
Beissende Schweine: Ebenfalls zu bemängeln waren fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten und enge Platzverhältnisse – zum Beispiel für die Mastschweine. Die STS-Experten beobachteten die zusammengepferchten Tiere dabei, wie sie einander bissen und mit den Klauen die Haut zerkratzten.
Der K-Tipp hat die Verantwortlichen der Luzerner Messe mit der STS-Kritik konfrontiert. Messeleiterin Luzia Roos-Bättig sagt: «Die Aufsichtspersonen tun ihr Möglichstes.» Grundsätzlich würden alle Tierschutznormen strikt eingehalten.
Zum Vorwurf, dass Besucher die Rückzugsboxen der Ferkel öffnen konnten, heisst es: «Dass sich die Ferkel dadurch gestört fühlen, ist unwahrscheinlich. Sie schlafen am Tag nicht besonders lang an einem Stück.» Doch ein Streichelzoo sei «immer ein Kompromiss zwischen dem Tierwohl und dem Bedürfnis der Kinder, Tiere aus der Nähe zu beobachten und zu streicheln».
Roos-Bättig betont, dass der Streichelzoo über Mittag jeweils eine Stunde geschlossen sei, «damit sich die Tiere vom Publikum erholen können». Roos-Bättig sieht denn auch keinen Handlungsbedarf: «Die Tiere des Streichelzoos haben sich an der Messe wohl gefühlt und sind rundum gesund auf den Bauernhof zurückgekehrt.»
«Kaninchen sind keine Streicheltiere»
Missstände wie an der Luga sind kein Einzelfall: Bei anderen Messen mit Tieren stellte der STS letztes Jahr teils gravierende Mängel fest.
Die Hauptprobleme: zu enge Platzverhältnisse, fehlende Rückzugsmöglichkeiten sowie Wasser- und Futtermangel. Als «höchst problematisch» bezeichnet der STS vor allem die Streichelzoos. Kaninchen und Meerschweinchen würden «wie Spielzeug behandelt und stundenlang zum Zwangsstreicheln herumgereicht».
An der Luga wurden mit angeleinten Kaninchen Hindernisläufe durchgeführt. Aus Sicht der Tierschützer ist dies bedenklich, weil dies überhaupt nicht dem natürlichen Verhalten von Kaninchen entspreche.
Bilanz der STS-Experten: «In einen Streichelzoo gehören nur Tiere, die sich für den Kontakt mit Kindern eignen – also keine Meerschweinchen oder Kaninchen, die entgegen der landläufigen Meinung keine Streicheltiere sind.»
Nur zwei von acht Messen mit guter Tierhaltung
Der Verein Schweizer Tierschutz (STS) hat 2013 acht grosse Schweizer Messen mit Tierausstellungen überprüft: Olma, Offa-Pferdemesse und Kleintiermesse Animalia (alle in St. Gallen), Bea-Pferd in Bern, SwissBird in Zofingen AG, Foire du Valais in Martigny VS, Exposition Canine Internationale in Genf sowie Comptoir Suisse in Lausanne.
An sechs Ausstellungen wurden ähnliche Probleme wie an der Luga in Luzern festgestellt. Kritikpunkte: fehlende Rückzugsmöglichkeiten für die Tiere, unprofessionell überwachter Streichelzoo und ungenügende Abgrenzung von Tieren und Besuchern.
Auf laut STS «gravierende Tierschutz-Missstände» ist man vor allem an der Animalia und an der SwissBird gestossen: Oft waren die «gestressten, toupierten und zwangsgestreichelten» Tiere «in winzige Käfige gesperrt». Schlussfolgerung des STS: «Es besteht beträchtlicher Handlungsbedarf.»
Weitere krasse Beispiele: An der Olma entdeckte der STS hochträchtige Mutterkühe, «die nicht an Ausstellungen gebracht werden dürften». Und in einer nicht näher bezeichneten Ausstellung hatte eine Tigerpython nur die Hälfte des gesetzlich vorgeschriebenen Platzes zur Verfügung.
Immerhin: Die Verantwortlichen der Animalia haben auf die heftige Kritik reagiert. Der Streichelzoo wurde dieses Jahr aus dem Programm gestrichen.
Der STS bemängelte zudem, dass die seit 2008 gesetzlich vorgeschriebene Würde der Tiere «teilweise stark zu wünschen übrig lässt.» Beispiele: in übertriebener Manier zurechtgemachte Hunde, als reine Streichelobjekte missbrauchte Meerschweinchen oder in winzige Käfige gesperrte Wildvögel.
Durch «insgesamt gute Tierhaltung und entspannte Tiere» konnten sich nur zwei Ausstellungen auszeichnen: Bea-Pferd und Comptoir Suisse.