Der Entscheid des Bundesrates ist für die Versicherten unerfreulich. Ihr in der beruflichen Vorsorge (zweiten Säule) obligatorisch angespartes Kapital wird 2012 nur noch mit 1,5 Prozent verzinst – ein halbes Prozent weniger als bisher. So wenig Zins gabs noch nie auf das Geld, das ihnen vom Lohn abgezogen wird.
Mit dieser Senkung entgehen allen Versicherten in der Schweiz allein im nächsten Jahr Zinserträge in Milliardenhöhe (siehe Kasten). Was das für den einzelnen Angestellten bedeuten kann, hat «Saldo» vor kurzem ausgerechnet: 1,5 statt 2 Prozent Zins – das reduziert über die Dauer eines 40-jährigen Erwerbslebens das Altersguthaben um fast 35 000 Franken («Saldo» 14/11).
Bei den Pensionskassen und den Lebensversicherungen, die im Geschäft mit der zweiten Säule aktiv sind, wird man sich die Hände reiben – sie sind die Profiteure des Bundesratsentscheids.
Höhere Verzinsung wäre gut möglich
Kommt hinzu: Es spricht einiges dafür, dass die Senkung des Mindestzinssatzes gar nicht nötig gewesen wäre. Die Finanzmärkte befinden sich zurzeit zwar in einer misslichen Verfassung. Dennoch erhält, wer beispielsweise Geld in die Säule 3a einzahlt, bei vielen Instituten noch immer zwei und mehr Prozent Zins. Beim aktuellen Spitzenreiter, der Banca Popolare di Sondrio, sind es aktuell 2,375 Prozent. Es ist also möglich, Sparkapitalien anständig zu verzinsen (siehe auch Seite 33).
Hinzu kommt, dass die Pensionskassengelder der Versicherten teilweise in Liegenschaften investiert sind. Deren durchschnittliche Rendite betrug 2010 in der Schweiz immerhin 5,9 Prozent (K-Geld 3/11).
Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass man bei den Gewerkschaften über die Senkung konsterniert ist. «Mit einem Satz von 1,5 Prozent sollen bloss die Gewinne der Lebensversicherer garantiert werden», stellte Doris Bianchi vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund im «Tages-Anzeiger» fest.
Von 2005 bis 2010 stattliche Gewinne
Tatsächlich: Für die Lebensversicherer ist die zweite Säule ein Top-Geschäft. Das zeigen Zahlen, die der diplomierte Pensionsversicherungs-Experte Jürg Jost aktuell ermittelt hat (s. Tabellen). Sie stützen sich auf die durch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht des Bundes (Finma) jährlich erfassten Berichterstattungen der Lebensversicherer. Und sie betreffen die fünf Grossen in diesem Geschäft: Swiss Life, Axa, Basler, Helvetia und Allianz Suisse. Die wichtigsten Ergebnisse:
- Die fünf grössten Versicherer schrieben im Bereich Pensionskasse von 2005 bis 2010 stattliche Gewinne. Bei der Helvetia betrug der Gewinn im Jahresdurchschnitt 4,82 Prozent, bei der Allianz Suisse gar 7,87 Prozent der von den Angestellten einbezahlten Prämien.
- Weiter zeigt die Sechs-Jahres-Betrachtung: Die Rendite auf den Anlagen lag deutlich über 2 Prozent. Sie lag im Durchschnitt pro Jahr zwischen 2,66 Prozent (Helvetia) und 3,63 Prozent (Allianz Suisse).
- Drei der fünf Versicherer wiesen im Mittel der Jahre 2005 bis 2010 allgemeine Verwaltungskosten von über 11 Prozent auf: Allianz Suisse (11,85 %), Swiss Life (11,53 %) und Basler (11,26 %). Bei der Axa waren sie mit 7,81 Prozent am tiefsten.
Klar ist: Gewinne und Verwaltungskosten der Versicherungskonzerne gehen zu Lasten der Versicherten. Denn sie zahlen das Ganze aus ihren Vorsorgevermögen. Und sie zahlen zu viel: Jürg Jost stellt zu den Gesamtkosten im Umfang von rund 22 Prozent der einbezahlten Prämien fest: «Da besteht ein grosses Einsparungspotenzial.»
Der K-Tipp hat Josts Zahlen den betroffenen Lebensversicherern vorgelegt. Nicht alle nahmen dazu bis Redaktionsschluss Stellung. Swiss Life bestätigte die Ergebnisse bezüglich Rendite und Verwaltungskosten, setzte aber hinter den angegebenen Durchschnittsgewinn ein Fragezeichen.
Axa und Allianz Suisse wiederum erklärten, die Zahlen zum Gewinn könnten sie «nicht nachvollziehen». Dasselbe sagte die Allianz Suisse bezüglich der genannten Verwaltungskosten, während die Axa diese für sich selber tiefer ansetzte. Und die Basler sagte, dass sie die vorliegenden Kennzahlen für keine geeigneten Bewertungsgrössen hält.
Gery Schwager
Die Auswirkungen der Zinssenkung
698 Milliarden Franken betrug das Vorsorgevermögen in der zweiten Säule per Ende 2009. Das geht aus Unterlagen des Bundesamts für Sozialversicherungen hervor. Bis Ende 2011 dürften die Versicherten gut 800 Milliarden angespart haben.
Würde diese Summe 2012 mit 2 Prozent verzinst, beliefe sich der Zinsertrag auf 16 Milliarden Franken. Bei 1,5 Prozent wären es noch 12 Milliarden.
Der Mindestzinsatz ist nur für den obligatorischen Teil des Vorsorgevermögens zwingend. Ob und um wie viel die Pensionskassen den Zins auch für überobligatorisch versicherte Löhne senken, ist heute noch offen.