Thomas Steudten aus Steinhausen ZG liess sich Ende 2017 im Kantonsspital Aarau behandeln. Die Ärzte erweiterten bei einer ambulanten Operation den Gang zwischen Innenohr und Nase. Die Rechnungen für den Eingriff gingen direkt an seine Krankenkasse CSS.
Die CSS zahlte diese anstandslos und schickte Steudten jeweils eine Abrechnung. Darauf war aber nur der Gesamtbetrag der Kosten ersichtlich – rund 4500 Franken. Etwas mehr als die Hälfte davon sollte Steudten selber zahlen, da er in der Grundversicherung die maximale Franchise von 2500 Franken gewählt hat. Deshalb wollte er die Rechnungen kontrollieren.
Eine genaue Auflistung der Leistungen erhielt er erst auf seine Nachfrage beim Spital. Darauf entdeckte Steudten Unstimmigkeiten: So waren für das fünfminütige Vorgespräch mit dem Narkosearzt 55 Minuten angegeben. Und die Rechnungspositionen am Operationstag summierten sich auf sechs Stunden – obwohl er nur vier Stunden in Behandlung war. «Ich musste zwei Stunden warten», sagt Steudten. Gemäss Rechnung hätte er für diese Zeit eine «nichtärztliche Betreuung in der Tagesklinik» zahlen müssen.
Er reklamierte bei der CSS. Sie sagte ihm, er solle sich direkt beim Spital beschweren. Dieses sprach von «bedauerlichen Fehlern» und reduzierte die Rechnung um 246 Franken.
Sparpotenzial längst nicht ausgeschöpft
Das ist kein grosser Betrag. Unter dem Strich geht es aber um viel Geld: Laut Schätzungen des Krankenkassenverbands Santésuisse stellen Ärzte und Spitäler den Grundversicherten jährlich zwei bis drei Milliarden Franken zu viel in Rechnung. Die Summe dürfte noch wesentlich höher sein. So gibt die CSS an, durch eigene Kontrollen rund 654 Millionen Franken an Kosten vermieden zu haben. Groupe Mutuel kommt auf einen Betrag von rund 630 Millionen, Visana auf 500 Millionen und Concordia auf knapp 283 Millionen Franken.
Damit ist das Sparpotenzial längst nicht ausgeschöpft. Denn viele Fehler in den Rechnungen können nur die Versicherten erkennen. Nur sie wissen, wie lange und wie sie behandelt wurden und ob sie die in Rechnung gestellten Medikamente tatsächlich erhielten.
Doch die Patienten erhalten die Rechnung in der Regel nur auf Verlangen – wie Thomas Steudten. Der Berner Gesundheitsökonom Heinz Locher schätzt, dass die Krankenkassen rund 230 Millionen Franken pro Jahr sparen könnten, wenn die Versicherten in die Rechnungsprüfung einbezogen würden.
Laut Krankenversicherungsgesetz müssten die Ärzte und Spitäler den Versicherten immer eine Rechnungskopie schicken. Doch die meisten Spitäler halten sich nicht an diese Vorschrift. Dorit Djelid, Sprecherin des Spitalverbandes H+, findet das Verschicken der Rechnungen nicht sinnvoll. Das sei teuer, und die Rechnungen seien ohnehin schwer verständlich.
Bundesamt: «Das Problem ist erkannt»
Aber auch die Krankenkassen versäumen es, ihren Versicherten die Rechnungen zur Kontrolle zu schicken, bevor sie diese zahlen. Eine CSS-Sprecherin argumentiert, die komplizierten Tarmed-Abrechnungen seien für viele Patienten schwer verständlich. Die Sanitas sagt, sie wolle Doppelspurigkeiten vermeiden, da der Versicherte vielleicht schon eine Rechnung erhalten habe. Die Groupe Mutuel begnügt sich damit, die Versicherten darauf hinzuweisen, dass sie das Recht auf eine Rechnungskopie vom Arzt oder Spital haben. Und die Visana sagt, der Versand der Rechnungen bedeute einen «unnötigen personellen und finanziellen Aufwand für die Versicherung und die Versicherten».
Das Problem ist seit Jahren bekannt. Seit 2002 berichteten K-Tipp und «Saldo» mindestens fünf Mal darüber. Weshalb unternimmt das Bundesamt für Gesundheit nichts gegen die gesetzeswidrige Praxis? Sprecher Grégoire Goignat sagt: «Das Problem ist erkannt.» Es werde im Herbst angegangen.
So kontrollieren Sie die Abrechnung
Stationäre Behandlungen werden seit dem Jahr 2012 mit einer Fallpauschale abgerechnet. Bei ambulanten Eingriffen hingegen rechnen Spitäler und Ärzte mit dem Ärztetarif Tarmed ab.
So kann man die Rechnung kontrollieren:
Fordern Sie eine Rechnungskopie an. Wer sie von der Krankenkasse nicht erhält, sollte sie vom Arzt und vom Spital verlangen.
Für Konsultationen rechnen die Ärzte gemäss Tarmed im 5-Minuten-Takt ab. Kontrollieren Sie das Datum und die Zahl der in Rechnung gestellten Minuten.
Bei der Position «in Abwesenheit des Patienten» muss der Arzt begründen können, was er gemacht hat und weshalb. Das kann zum Beispiel ein Telefonat mit Angehörigen sein.
Prüfen Sie, ob Sie die aufgeführten Medikamente in der entsprechenden Packungsgrösse erhalten haben.
Den Notfalltarif darf der Arzt nur anwenden, wenn er sich sofort, also ohne Wartezeit, um den Patienten kümmert.
Kontrollieren Sie die auf der Rechnung angegebene Aufenthaltsdauer im Spital.