Mit Vorsicht zu geniessen
Jahr für Jahr vergeben die grossen Gastroführer ihre Noten aufs Neue. Aber nicht alle Restaurants sind zuvor von den einzelnen Kritikern überprüft worden.
Inhalt
K-Tipp 7/2004
07.04.2004
Gery Schwager - gschwager@ktipp.ch
Pascal Rémys Geständnis sorgte weit über Frankreich hinaus für Schlagzeilen. Der einstige Küchenkritiker des renommierten Guide Michelin France hatte im Februar publik gemacht, dass längst nicht jedes der im Gastroführer verzeichneten Restaurants regelmässig von Testern besucht werde.
Auch in der Schweiz ist der jährliche Testbesuch offenbar kein ehernes Gesetz - obwohl die Gastroführer jedes Jahr neu erscheinen. Bei einigen Lokalen könnten zwischen zwei Besuchen schon ...
Pascal Rémys Geständnis sorgte weit über Frankreich hinaus für Schlagzeilen. Der einstige Küchenkritiker des renommierten Guide Michelin France hatte im Februar publik gemacht, dass längst nicht jedes der im Gastroführer verzeichneten Restaurants regelmässig von Testern besucht werde.
Auch in der Schweiz ist der jährliche Testbesuch offenbar kein ehernes Gesetz - obwohl die Gastroführer jedes Jahr neu erscheinen. Bei einigen Lokalen könnten zwischen zwei Besuchen schon mal 14 bis 15 Monate verstreichen, heisst es beim Guide Michelin Schweiz, der 858 Restaurants auflistet. Und Guide-Bleu-Chefredaktor Anton Herbert Honegger, Herr über 1111 Gaststätteneinträge, gibt zu Protokoll: «Wir haben für sichere Werte, die wir schon Jahre im Guide haben, einen ZweiJahres-Turnus.» Von den drei Grossen schaut einzig Gault Millau nach eigenen Angaben jedes Jahr in allen 800 aufgeführten Restaurants vorbei.
Solche Infos sucht die Leserschaft in den kulinarischen Bibeln vergeblich. Wie so vieles. So steht etwa nirgends, welche der besuchten Beizen bei den Testern durchgefallen sind und deshalb in den Führern gar nicht erst erwähnt werden.
Das ist für Andrin C. Willi, Gastronomie-Experte und Chefredaktor des Magazins «Salz & Pfeffer», ein arger Mangel: «Es geht doch hier um Gastrokritik. Da müssten unbedingt auch die als ungenügend taxierten Restaurants zu finden sein - und zwar inklusive Begründung für die schlechten Noten.» Sonst leiste die ganze Übung überhaupt keinen Beitrag an Verbesserungen in der Gastronomie.
Doch was steht denn eigentlich drin in den Gastroführern? Die konkreten Kriterien etwa, an denen die Lokale gemessen werden, findet man nur im Guide Bleu detailliert aufgelistet. Der Guide Michelin begnügt sich mit Andeutungen. Und der Gault Millau setzt primär auf umfangreiche Kommentare, in denen laut Chefredaktor Urs Heller die gewährte Punktzahl «nachvollziehbar begründet sein muss».
Widersprüchlich: Noten und Kommentar
Willi hat da allerdings anderes entdeckt: «Die Gault-Millau-Kommentare widersprechen nicht selten der Benotung», findet er und verweist unter anderem auf das Beispiel «Teufelhof» in Basel, dem mit 14 Punkten eine «sehr gute Küche, die mehr als das Alltägliche bietet», bescheinigt wird - während im Kommentar von faden Vor- und fantasielosen Hauptspeisen die Rede ist.
Recht üppig richten alle drei Führer an, wenn es um Angaben über Räumlichkeiten, Preise, akzeptierte Kreditkarten, Öffnungszeiten oder Parkplätze geht. Auch arbeiten alle mit Übersichtskarten und Stadtplänen, um die Restaurantsuche zu erleichtern. Bei Faktoren wie Kinderfreundlichkeit, Nichtraucherschutz und Hundeverbot klaffen aber bereits wieder Lücken (siehe Tabelle).
Und vergeblich sucht die Leserschaft nach Antworten auf die Frage, wer denn eigentlich die Restaurants besucht und benotet hat. Gault Millau und Guide Bleu legen wenigstens offen, dass für sie 45 beziehungsweise 77 Tester im Einsatz stehen. Beim Guide Michelin Schweiz sind es nur 10, wie auf Anfrage zu erfahren war. Diese seien aber bei Michelin fest angestellt, müssten über eine Ausbildung in Hotellerie oder Restauration verfügen und würden für ihre Aufgabe speziell geschult.
Hingegen walten bei Gault Millau und Guide Bleu Amateure ihres Amtes. Bedingung sei, so Gault-Millau-Chef Heller, dass die Leute kulinarische Kenntnisse hätten und kein Geld an der Gastronomie verdienen. «Vor allem aber müssen sie eine unglaubliche Leidenschaft fürs Essen und Trinken mitbringen.» Auch der Guide Bleu findet es schön, wenn die Tester «Freude am Essen haben und geniessen können». Dazu gibts einen eintägigen Einführungskurs und zweimal jährlich Workshops.
Ein Restaurant, völlig verschiedene Urteile
Trotzdem bleiben auch bei Test-Essern die Vorlieben verschieden. Entsprechend anders sind zuweilen die Noten, die sie derselben Küche erteilen. So sind etwa die «Fischerzunft» in Schaffhausen und das «Pierroz» in Verbier dem Guide Michelin bloss einen von drei möglichen Sternen wert; der Gault Millau schmückt sie mit spitzenmässigen 19 Punkten.
Damit gehören die Küchenchefs der beiden Häuser übrigens zum nur sieben Köche zählenden Olymp des Gault Millau Schweiz. Und dieser hat sich seit 1999 nicht mehr verändert. Da ists nicht verwunderlich, wenn der Vorwurf kursiert, der Gault Millau fasse seine «Lieblinge» mit Samthandschuhen an.
«Blödsinn», kontert Heller. «Unsere sieben Spitzenreiter kochen wirklich saugut.» Sie wüssten aber sehr wohl, dass der 19. Punkt «nicht in Stein gemeisselt» sei.
Mag sein. Ein Koch hat diesen in der Schweiz trotzdem noch nie verloren.
Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit einem der grossen Gastroführer? Diskutieren Sie unter www.ktipp.ch
Guide Michelin
Lesefreundlichkeit
«Unübersichtlich, freudloses Layout»
Qualität der Kommentare
«Wortkarg, oft zu oberflächlich, der Leser erhofft sich inhaltlich mehr»
Gesamturteil
«Seine Sterne sind rar und begehrt, innerhalb der Branche hat der Guide Michelin weit stärkeres Gewicht als in der Öffentlichkeit - er ist der eigentliche kulinarische Gradmesser für die Gastronomie. Die Schweizer Ausgabe zeitigte bisher nur eine bedingte Wirkung, und Michelin hätte es in der Hand, die Gastrokritik in der Schweiz anzuführen.
Allerdings müsste er dazu bei Layout und Leserfreundlichkeit stark zulegen - und zwar ohne Farbzeichnungen oder ähnliche Alibiübungen. Dennoch bietet der Guide Michelin unterm Strich gute Information und Kritik.»
Guide Bleu
Lesefreundlichkeit
«Leidet unter Fülle an Zeichen und Symbolen»
Qualität der Kommentare
«Kurz und schwelgerisch, will mit wenigen Worten zu viel erklären»
Gesamturteil
«Der Guide Bleu überzeugt durch seinen Informationsgehalt und durch die Anzahl der getesteten Restaurants, nicht ausschliesslich im oberen Preissegment.
Er ist kein Gastrokritiker, sondern ein Gastroführer.
Er kommentiert nicht wirklich, informiert aber sehr zuverlässig und gut.
Er eignet sich als Informationsquelle für Leute, die lieber selber essen gehen, als Vorgekautes nachzukauen - und die sich dabei auch überraschen lassen, positiv wie negativ.»
Gault Millau
Lesefreundlichkeit
«Klar strukturiert und nicht überladen»
Qualität der Kommentare
«Oft elitär und lächerlich schwülstig, strotzt vor Phrasen, Superlativen und Selbstverliebtheit»
Gesamturteil
«Dem Gault Millau fehlt der Mut zur Kritik: Er fürchtet, angreifbar zu sein. Und er fürchtet sich vor der eigenen Macht: Seine Kritiken sind für Gedeih und Verderb der Gastgeber mitverantwortlich. Verderben will er es nicht, darum schreibt er lieber gedeihlich. Zudem: Wie formuliert man den Unterschied zwischen 14 und 15 Punkten? Resultat: verkrampfte Langfädigkeit.
Der Gault Millau ist die einzige Gastrokritik, die man auch abends im Bett lesen kann: den Inhalt als Gastro-Wettkampfbericht, den Stil als Satire.»