Mit der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit ist gemeint: Ein Arbeitnehmer ist nur an der bisherigen Stelle nicht in der Lage, seinen Job zu erledigen. Grund dafür kann eine psychische Belastung wegen eines Konflikts am Arbeitsplatz sein. An einer anderen Arbeitsstelle aber ist er arbeitsfähig.
Eine solche Situation hat Christian Schmidt (Name geändert) aus dem Kanton Aargau erlebt. Der 44-jährige Deutsche arbeitete seit Anfang 2017 bei einer Firma in Itingen BL. Er war im Finanzcontrolling tätig. Vor zwei Jahren wechselte sein Vorgesetzter. Schmidt musste neu auch in Muttenz BL arbeiten. Seine Arbeitsbelastung erhöhte sich dadurch massiv. «Mein Chef hat mich richtig mit Arbeit zugemüllt», erzählt Schmidt dem K-Tipp.
Im Mai 2020 erlitt er ein Burnout. Mit Hilfe eines Arbeitstherapeuten kehrte er zwar im Juli in einem reduzierten Pensum an seinen Arbeitsplatz zurück. Doch es ging nicht mehr, die psychische Belastung war zu gross. Ab Ende August war Christian Schmidt zu 100 Prozent arbeitsunfähig. Seine Krankentaggeldversicherung zahlte ihm 90 Prozent seines Lohns – wie im Arbeitsvertrag vorgesehen.
Taggeldversicherung stellte Zahlungen ein
Mitte Januar 2021 erhielt Christian Schmidt die Kündigung auf Ende April. Er war aber aus gesundheitlichen Gründen unfähig, während der Kündigungsfrist an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Ausserhalb der Firma war er voll arbeitsfähig, wie sein behandelnder Arzt am 28. Januar 2021 der Krankentaggeldversicherung in einem Arztzeugnis bestätigte.
Das hatte Konsequenzen: Am 2. Februar teilte die Taggeldversicherung Schmidt mit, sie werde ihre Zahlungen per Ende März einstellen. Begründung: Gemäss der medizinischen Beurteilung könne Schmidt «bei einem anderen Arbeitgeber eine 100-prozentige Arbeitsleistung erbringen».
Versicherung hätte länger zahlen müssen
Das Vorgehen der Versicherung war unzulässig: Angestellte mit einer rein arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit trifft zwar eine sogenannte Schadensminderungspflicht. Das heisst: Sie müssen sich bei einem anderen Arbeitgeber eine neue Stelle suchen. Dazu muss ihnen die Versicherung aber eine Frist von drei bis fünf Monaten geben. Zudem muss sie androhen, dass sie nach Ablauf der Frist nicht mehr zahlt (siehe Kasten).
All dies tat die Versicherung jedoch nicht. Weder setzte sie Schmidt eine Frist für die Suche nach einem neuen Job, noch drohte sie Konsequenzen an, falls er das nicht getan hätte.
Schmidt verzichtete darauf, gerichtlich gegen die Versicherung vorzugehen. Er meldete sich bei der regionalen Arbeitsvermittlungsstelle Zofingen AG als arbeitslos an. Anfang Mai erhielt er das Arbeitslosengeld für den April im Umfang von 5825 Franken. Das sind rund 1000 Franken weniger, als ihm die Krankentaggeldversicherung im April hätte zahlen müssen.
Das gilt bei arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit
Ersatzarbeit muss zumutbar sein
Der Arbeitgeber darf dem Angestellten vorübergehend eine andere Arbeit oder einen anderen Arbeitsplatz im Betrieb zuweisen. Die neue Arbeit oder die Versetzung in eine andere Abteilung muss für den Betroffenen aber zumutbar sein. Wer eine zumutbare Arbeit ablehnt, verliert seinen Lohnanspruch.
Bezug von Ferien und Überstunden
Der Arbeitgeber kann vom Angestellten verlangen, dass er bei arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit Ferien bezieht und Überstunden abbaut.
Zeitlich beschränkter Anspruch auf Lohn
Angestellte behalten ihren Anspruch auf Lohnzahlung während einer beschränkten Zeit: Nach Gesetz drei Wochen im ersten Dienstjahr, danach je nach Anstellungsdauer ein bis fünf Monate. Besteht eine Krankentaggeldversicherung, ist diese leistungspflichtig. Sie kann vom Angestellten aber verlangen, dass er eine neue Stelle sucht. Dazu muss sie ihm eine Frist ansetzen und androhen, dass sie nach Ablauf der Frist nicht mehr zahlt. Laut Bundesgericht ist eine Frist von drei bis fünf Monaten vertretbar (Urteil 4A_111/2010). Danach darf die Versicherung ihre Leistungen einstellen.
Schutz vor Kündigung
Der Arbeitgeber darf einem kranken oder verunfallten Angestellten während einer bestimmten Zeit nicht kündigen. Im ersten Dienstjahr dauert der Schutz maximal 30 Tage, ab dem zweiten 90, ab dem sechsten 180 Tage. So bleibt Zeit für die Stellensuche. Eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit schränkt aber Angestellte bei der Suche nach einer neuen Stelle nicht ein. So entschieden verschiedene Gerichte in der Deutschschweiz. Der Kündigungsschutz gilt daher in diesem Fall nicht.