Anfang August erhielten die Mieter in der Wohnüberbauung Dachseggbächli in Rüti ZH Post von der Helvetia. Die Pensionskasse der Versicherung ist Eigentümerin der Gebäude und informierte die Mieter in einem Schreiben über eine Mietzinserhöhung. Die insgesamt 105 Wohnungen waren während der letzten Monate renoviert worden.
Die neuen Mieten gelten ab 1. Dezember und trafen viele Bewohner im Dachseggbächli wie einen Schlag. Der 77-jährige Heinrich Leemann zum Beispiel soll für seine 2,5-Zimmer-Wohnung in Zukunft ohne Nebenkosten 1473 Franken bezahlen. Bisher waren es 923 Franken. Das bedeutet eine Erhöhung um 60 Prozent. Dem Mieter beschert dies Mehrkosten von 6600 Franken jährlich. Leemann sagt: «Ich beziehe Ergänzungsleistungen und weiss nicht, wie ich das bezahlen soll.»
Er ist kein Einzelfall: Dem K-Tipp liegen Unterlagen zu rund einem Dutzend Wohnungen der Überbauung in verschiedenen Grössen vor. Bei allen Betroffenen fällt die Mietzinserhöhung mit 40 bis 60 Prozent happig aus.
«Das bereitet mir wahnsinnig Bauchweh», sagt Mieterin Andrea Fuchs (Name geändert). «Wir können uns 600 Franken mehr pro Monat nicht leisten.» Fuchs wohnt mit ihrer Familie in einer 4,5-Zimmer-Wohnung, die neu ohne Nebenkosten 2200 statt 1600 Franken kosten soll. Die Mieterin sagt: «Es ist nahezu unmöglich, in dieser kurzen Zeit etwas Neues zu finden. Zudem gehen die Kinder hier zur Schule und haben hier ihre Freunde.»
Gegen eine Mietzinserhöhung kann man sich wehren. Allerdings bleibt nur wenig Zeit: Sie muss innert 30 Tagen bei der Schlichtungsstelle angefochten werden. Larissa Steiner vom Zürcher Mieterverband rät, dies auch im Zweifelsfall zu tun: «Vermieter wälzen eher zu viel als zu wenig auf die Mieter ab.»
Das Gesetz schützt vor missbräuchlichen Erhöhungen. Bei Renovationen dürfen nur wertvermehrende Umbauten den Mietern überwälzt werden. Der Ersatz einer alten Küche etwa zählt nicht dazu.
Anfechtung hat gute Erfolgschancen
Es kann sich lohnen, eine Mietzinserhöhung anzufechten. Laut dem Bundesamt für Wohnungswesen gingen vergangenes Jahr bei den Schlichtungsstellen rund 10'000 Gesuche ein, die eine Mietzinserhöhung betrafen. Die Mehrheit der Gesuchsteller erreicht laut Mieterverband eine Reduktion.
Auch in Rüti wird erst ein Verfahren vor der Schlichtungsstelle Klarheit schaffen, ob der Aufschlag zulässig ist. Heinrich Leemann und weitere rund 20 Mieter der Überbauung Dachseggbächli werden den Mietzins bei der Schlichtungsstelle in Hinwil ZH anfechten.
In Rüti gab es keine Luxussanierung
Die Erneuerung der Überbauung fiel nicht üppig aus. «Nach 40 Jahren wurden bei mir zwar Bad, Küche, Eingangstür, Fenster und Balkongeländer erneuert sowie einige Wände gestrichen», sagt etwa die Mieterin Silvia Tuchschmid (Name geändert). Aber neue Böden seien nicht verlegt worden. Für ihre 3,5-Zimmer-Wohnung soll Tuchschmid in Zukunft 1500 Franken zahlen – statt wie bisher 1000 Franken.
Die Bewohner in Rüti wussten zwar, dass sie nach der Renovation mehr Miete zahlen müssen. Allerdings versprach die Helvetia Ende 2022 in einer Broschüre eine Zinsanpassung «an der unteren Bandbreite». Die Versicherung räumte im Schreiben von Anfang August an die Mieter ein: «Die Mietzinsanpassung fällt leider höher aus als ursprünglich angekündigt.» Grund dafür seien «hohe Baukosten und weitere Teuerungen».
«Hier scheint einiges fragwürdig»
Der Zürcher Mietrechtsanwalt Peter Zahradnik sagt nach Sichtung der Unterlagen der Mieter: «Hier scheint einiges fragwürdig.» So ortet er zum Beispiel bei der Berechnung der Mietzinserhöhung einen Verzinsungsfehler – was pro Monat mehrere Hundert Franken ausmachen könne.
Ob der Aufschlag berechtigt sei, lasse sich nicht einschätzen, sagt Zahradnik. Um das zu überprüfen, bräuchte er die Bauabrechnung. Diese müssten die Vermieter erst vor dem Mietgericht vorlegen.
Die Helvetia-Versicherung sagt auf Anfrage des K-Tipp, sie halte an den Mietzinserhöhungen fest. Man gebe nicht sämtliche Sanierungskosten an die Mieter weiter. Ein Berechnungsfehler bei der Verzinsung liege nicht vor.
Mietzins erhöht: So können sich Betroffene wehren
- Eine Mietzinserhöhung sollte man nach Erhalt sofort prüfen. Wer damit nicht einverstanden ist, muss sie innert 30 Tagen bei der zuständigen Schlichtungsstelle anfechten. Läuft diese Frist ungenutzt ab, gilt die Erhöhung als akzeptiert – auch wenn sie sich als nicht korrekt herausstellen sollte und andere Mieter einer Liegenschaft die Erhöhung erfolgreich angefochten haben. Jeder Mieter muss die Erhöhung für sich selber anfechten.
- Um keine Frist zu verpassen, kann die Mietzinserhöhung vorsorglich angefochten werden – auch ohne Kenntnis der konkreten Berechnungsgrundlagen. Den Brief müssen alle Personen unterzeichnen, die im Vertrag als Mieter aufgeführt sind. Der Brief sollte per Einschreiben versandt werden, damit die Rechtzeitigkeit der Anfechtung belegt werden kann.
- Vermieter dürfen nur wertvermehrende Investitionen auf den Mietzins überwälzen. Für rein werterhaltende Investitionen ist eine Zinserhöhung ausgeschlossen. Von Wertvermehrung ist die Rede, wenn eine alte Sache durch eine neue ersetzt wird, die im Vergleich mehr Komfort bringt.
- Von einer Zinserhöhung betroffene Mieter können vom Vermieter Angaben zum wertvermehrenden Anteil, zur Verzinsung der Investitionen und zum Unterhaltszuschlag verlangen.