Vreni und Paul Koch aus Zurzach AG können ihr Haus nicht mehr durch den Haupteingang betreten und verlassen. Grund: Der benachbarte Eigentümer Franz Melliger (Name geändert) hat den Hauseingang mit einem massiven Holzzaun verstellt. Der Zaun steht auf seinem Parkplatz an der Grundstücksgrenze.
Melliger begründet seine Massnahme so: Früher hätten diverse Quartieranwohner sein Grundstück passiert, um auf die darunterliegende Strasse zu gelangen. Er habe sein Haus im Jahr 2012 gekauft und erst später bemerkt, dass es gar kein Wegrecht gäbe. Die Anwohner seien nicht berechtigt gewesen, dort durchzugehen. Aus reiner Grosszügigkeit habe er das dem Ehepaar aber anfangs erlaubt. Doch die Kochs hätten sich an den spielenden Nachbarskindern gestört und diese weggeschickt. Deshalb habe er den Hag aufgestellt.
Mit dem Rollator zum Hintereingang
Für Vreni Koch ist der Zaun eine reine Schikane. «Wir konnten 34 Jahre lang von der Hauptstrasse direkt ins Haus gelangen.» Zu den Nachbarskindern habe sie einen guten Draht. Heute müsse sie den Hintereingang benützen. Dieser sei aber wegen der Hanglage zwei Etagen tiefer als der Vordereingang. Die 78-Jährige klagt: «Ich habe einen Rollator. Zum Einkaufen muss ich zwei Treppen bewältigen und einen grossen Umweg in Kauf nehmen.» Ihr Mann habe nur noch einen Lungenflügel: «Ich weiss nicht, wie lange wir diese Strapazen noch aushalten.»
Sie habe den Nachbarn gebeten, den Hag mit einem Tor passierbar zu machen. Dazu Koch: «Das wollte er jedoch nur machen, wenn wir ihm das Haus verkaufen.» Darauf habe sie sich aber nicht eingelassen. Melliger bestätigte dem K-Tipp das Kaufangebot – heute aber sei er nicht mehr daran interessiert.
Rechtlich gilt in einem solchen Fall: Der Nachbar kann auf seinem Land grundsätzlich machen, was er will – auch sein Haus einzäunen oder einmauern. Und er darf auch durchsetzen, dass fremde Leute nur mit seiner ausdrücklichen Zustimmung das Grundstück überqueren. Doch wer seinen rechtlichen Anspruch nur deshalb nutzt, um andere Personen zu schikanieren, handelt missbräuchlich. Im Gesetz heisst es dazu: «Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.»
Heinrich Honsell, früher Professor an der Universität Zürich, hat zum Streit in Zurzach eine klare Meinung: «Der Fall ist das klassische Beispiel einer interessenlosen, unnützen Rechtsausübung, geleitet von der Absicht, dem anderen zu schaden oder ihn zu behindern.» Das allfällige Ziel, «der Frau das Haus gleichsam abzupressen, ist fraglos illegitim und verstärkt den offensichtlichen Rechtsmissbrauch». Honsell ergänzt: «Der Nachbar ist verpflichtet, den Zaun zu öffnen und das Passieren zu gestatten.»
Bundesgericht spricht von «Neidmauer»
In einem ähnlich gelagerten Fall kam das Bundesgericht zum gleichen Schluss: Eine Hausbesitzerin im Kanton Schwyz hat laut Grundbuch ein Fuss- und Fahrwegrecht über die Parzelle des Nachbarn. Die beiden stritten über die Breite des Wegs. Der Nachbar setzte Steine in den Weg und pflanzte eine Hecke. Dadurch verengte sich der Platz auf vier Meter. Die Hausbesitzerin klagte, der Weg müsse breiter sein.
Das Bundesgericht gab ihr im März 2017 recht: Grössere Fahrzeuge wie Öltanklast- und Rettungswagen könnten bei vier Meter Breite nicht genügend ausholen und dadurch nicht zum Haus der Klägerin gelangen. Der Nachbar habe deshalb kein legitimes Interesse an der Hecke. Viel eher handelt es sich, so das Bundesgericht, um eine «Neidmauer». Der Nachbar musste deshalb Hecke und Steine wieder entfernen.
Fälle von Rechtsmissbrauch
Das Gesetz schützt vor einer ungerechten Ausübung eines Rechts. Rechtsmissbräuchlich ist etwa:
Eine reine Schikane. Beispiel: Ein Eigentümer baut eine Mauer, weil er dem Nachbarn die Aussicht nicht gönnt.
Krasses Missverhältnis von Leistungen. Beispiel: Der Vermieter kündigt, weil der Mieter mit zwei Franken Miete im Rückstand ist.