Wer mehr Tierwohl will, zahlt drauf: Für 100 Gramm konventionell produziertes Geschnetzeltes vom Schwein verlangt Coop Fr. 1.50. Die gleiche Menge Schweinsgeschnetzeltes, das Coop mit dem Tierwohl-Label Naturafarm verkauft, kostet Fr. 2.40 – also 60 Prozent mehr. Ähnlich hoch ist der Preisaufschlag bei Migros und Denner für Fleisch, das mit dem Label IP-Suisse – dem Marienkäfer – ausgezeichnet ist.
Schweine dieser Tierwohl-Labels verbringen ihr Leben in einem Stall, der die Richtlinien der IP-Suisse erfüllt. Dort geht es Schweinen angeblich besser, als es das Gesetz als Minimum verlangt. Sie haben etwa mehr Platz zum Liegen und Herumlaufen. Ein 70 Kilo schweres IP-Suisse-Schwein muss aber lediglich 0,6 Quadratmeter Liegefläche im Stall zur Verfügung haben. Das Gesetz verlangt 0,5 Quadratmeter. Zudem muss das IP-Suisse-Schwein die Möglichkeit haben, sich draussen auf einem betonierten Platz bewegen zu können.
Der Schweizer Tierschutz (STS) sollte seit dem Jahr 2021 überprüfen, dass IP-Suisse-Bauern die schärferen Tierwohlvorschriften einhalten. Recherchen des K-Tipp zeigen aber: Der Tierschutz war mit der Kontrolle der insgesamt 1600 IP-Suisse-Betriebe – knapp ein Drittel aller Schweineställe in der Schweiz – von Anfang an überfordert.
Verlässliche Daten zu den Betrieben fehlen
Die Kontrollen bestanden aus einem jährlichen Kurzbesuch. Die Prüfer konnten jedoch auf die Schnelle nicht beurteilen, ob jedes Schwein genügend Platz im Stall hatte. Dazu fehlten ihnen verlässliche Grunddaten wie die exakte Stallfläche. Aus diesem Grund begann der Tierschutz ab Januar 2021, alle IP-Suisse-Schweineställe eigenhändig zu vermessen.
Knapp drei Jahre später sind diese Vermessungsarbeiten immer noch im Gang. Gemäss Tierschutz fehlen nach wie vor die Daten von 177 Betrieben. Hinzu kommt: Auch bei den jährlichen Kontrollen ist der Tierschutz im Rückstand. Bei über 800 Schweinebetrieben kam dieses Jahr noch kein Kontrolleur vorbei (Stand Anfang September).
Den aktuellen Rückstand bei den jährlichen Kontrollen kommentiert der Schweizer Tierschutz gegenüber dem K-Tipp nicht. Wie viele Verstösse er pro Jahr ahndete, gibt er ebenfalls nicht bekannt. Er räumt nur ein, dass er bei den Vermessungskontrollen im Rückstand sei. Diese seien sehr zeitaufwendig. Erschwerend sei kurzzeitig ein Personalmangel dazugekommen.
Grossverteiler verschweigen Mängel
Fazit: Der Tierschutz führt seit 2021 Stallkontrollen durch, weiss aber bis heute nicht, wie viele Schweine jeder IP-Suisse-Betrieb im Stall halten darf. Das verschweigen die Grossverteiler Käufern von IP-Suisse-Schweinefleisch. Sie loben dieses Fleisch dennoch mit ihrem Tierwohl-Label aus – samt angeblicher Garantie, dass der Tierschutz die Einhaltung der Vorschriften jährlich überprüfe.
Den Konsumenten knüpfen die Grossverteiler für diese Scheinkontrolle massiv höhere Preise ab. Fleisch von IP-Suisse-Betrieben wird nicht nur unter dem Label Naturafarm und dem IP-Suisse-Marienkäfer verkauft, sondern auch unter den weniger bekannten Labels Agri Natura von Volg und Nature Suisse von Aldi.
Aldi, Coop und Migros weisen den Vorwurf der unvollständigen Kontrolle zurück. Die IP-Suisse-Betriebe seien ordentlich kontrolliert. Volg schiebt die Verantwortung auf IP-Suisse ab. Diese Organisation sei für die Einhaltung der Richtlinien und die Kontrollen verantwortlich.
IP-Suisse rügte den Tierschutz in einem internen Schreiben vom Juli dieses Jahres wegen der mangelnden Kontrollen. Der Brief liegt dem K-Tipp vor. Die Labelorganisation hält darin fest: «Es ist den Parteien bekannt, dass bisher in keiner Kontrollperiode die Anzahl der vereinbarten Kontrollen vollständig erreicht wurde.» Mit den Kontrollperioden sind die Jahre 2021 und 2022 gemeint. Gegenüber dem K-Tipp behauptetet IP-Suisse das Gegenteil: Die Kontrolltätigkeit bei der Schweineproduktion sei bisher lückenlos.
Vor einem Monat entzog die Geschäftsleitung von IP-Suisse dem Schweizer Tierschutz den Kontrollauftrag. Künftig soll die Firma Kul/Carea-Qualinova die jährlichen Stallkontrollen durchführen.