Nebenkosten: Kein Nachzahlen ohne Grenzen
Hat der Vermieter die Akontozahlungen zu tief angesetzt, müssen Mieter nicht unbeschränkt nachzahlen. Die Grenze liegt bei 20 bis 30 Prozent der total geleisteten Akontozahlungen.
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K-Tipp 15/2003
17.09.2003
Thomas Müller - tmueller@ktipp.ch
Es war im Oktober 2001, als Familie Graf in eine 3 1/2-Zimmer-Wohnung in Solothurn einzog. Der Mietzins betrug 750 Franken, die Nebenkosten 120 Franken im Monat.
Ein Jahr später kam der Hammer: Der Vermieter schickte für die ersten neun Monate eine Nebenkosten-Abrechnung über rund 1154 Franken. Diese sollten Grafs zusätzlich zu den bereits bezahlten 1080 Franken (9 x 120 Franken) berappen. Unter dem Strich hätte die Familie somit mehr als doppelt so hohe Nebenkosten bezahlt w...
Es war im Oktober 2001, als Familie Graf in eine 3 1/2-Zimmer-Wohnung in Solothurn einzog. Der Mietzins betrug 750 Franken, die Nebenkosten 120 Franken im Monat.
Ein Jahr später kam der Hammer: Der Vermieter schickte für die ersten neun Monate eine Nebenkosten-Abrechnung über rund 1154 Franken. Diese sollten Grafs zusätzlich zu den bereits bezahlten 1080 Franken (9 x 120 Franken) berappen. Unter dem Strich hätte die Familie somit mehr als doppelt so hohe Nebenkosten bezahlt wie im Vertrag angegeben.
Gerichtsurteil: Nur 30 Prozent nachzahlen
«Die 120 Franken waren ein Lockvogel-Angebot», ärgert sich Christine Graf. «Der Vermieter wusste sicher aus früheren Jahren, dass die Nebenkosten viel höher ausfallen würden. Er hat uns getäuscht.» Grafs Streit mit dem Vermieter dauert noch immer an.
Ähnlich erging es Susanne und Stephan Kälin, die seit April 2000 in einer 4 1/2-Zimmer-Wohnung in Hettiswil BE wohnen. Für Nebenkosten zahlen sie akonto 130 Franken monatlich.
«Für das erste Jahr mussten wir 490 Franken nachzahlen, was wir zähneknirschend akzeptierten», erzählt Stephan Kälin. «Aber jetzt sollen wir für das zweite Jahr schon 830 Franken nachschiessen, also über 50 Prozent der Summe unserer Akontozahlungen. Ist das überhaupt legal?»
Nein, entschied kürzlich die Präsidentin des Zivilgerichts Basel-Stadt in einem vergleichbaren Fall - und kürzte eine Nachforderung des Vermieters massiv. Resultat: Die betreffende Mieterin musste statt 150 Prozent nur noch 30 Prozent der bisher geleisteten Akontoüberweisungen nachzahlen.
Vermietertrick: Viel zu tiefe Nebenkosten
Zur Begründung heisst es im Urteil: «Der Vermieter hat Kenntnis von den Kosten seiner Liegenschaft und ist damit in der Lage, die Akontozahlung aufgrund der zu erwartenden Kosten festzusetzen.» Deshalb dürfe der Mieter darauf vertrauen, dass die Nebenkosten-Abrechnung die Akontozahlung «zumindest nicht wesentlich übersteigt».
Die Richterin zitiert dazu den Zürcher Rechtsanwalt Peter Fertig, der in einer Fachzeitschrift vorgeschlagen hatte, den vom Vermieter festgelegten Akontobetrag wie einen unverbindlichen Kostenvoranschlag - etwa den eines Garagisten - zu betrachten. Während der Garagist seine Offerte um höchstens 10 Prozent überschreiten darf, plädiert Fertig dafür, die Toleranzgrenze für Vermieter bei 20 Prozent anzusetzen. Dies deshalb, weil Vermieter gewisse Faktoren wie Wasserverbrauch des Mieters und Witterung nicht beeinflussen können.
Ob 20 oder 30 Prozent: Mieter können die Einhaltung dieser ungefähren Grenze immer dann verlangen, wenn der Vermieter die Akontozahlungen im Vertrag oder bei einer späteren Mietzinsanpassung deutlich zu tief angesetzt hat. Zu diesem Trick greifen Vermieter oft, wenn sie Mühe haben, eine Wohnung zu vermieten. Sie erwecken damit den Eindruck, die Wohnung sei günstiger, als sie tatsächlich ist.
«Betroffene können dann nicht nur eine Herabsetzung der aktuellen Nebenkosten-Rechnung verlangen, sondern auch in vergangenen Jahren zu viel bezahlte Nebenkosten zurückfordern», sagt Anita Thanei, Vizepräsidentin des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbands. «Sie befanden sich ja im Irrtum über ihre Zahlungspflicht.»
Andere Juristen sind strenger. Sie wollen Mietern einen Herabsetzungsanspruch nur dann gewähren, wenn diese sich schon nach Erhalt der ersten Nebenkosten-Abrechnung wehren. Begründung: Nach mehreren Jahren könne man sich nicht mehr auf den Vertrauensschutz berufen. Bei den meisten Schlichtungsbehörden gibt es auch dazu noch keine Praxis.
Unbestritten ist, dass ein anderer Weg den Mietern nur bei der ersten Abrechnung offen steht: die Berufung auf absichtliche Täuschung. Damit erreichte ein Mieter aus dem Kanton Neuenburg, dass er die Nebenkosten-Nachforderung in Höhe von 70 Prozent der bereits geleisteten Akontozahlungen nicht berappen musste. Das Bezirksgericht Boudry warf dem Vermieter vor, er habe eine «Täuschung durch Verschweigen» begangen, indem er den Mieter beim Vertragsabschluss nicht über die tatsächlichen Kosten informiert hatte.
Kein Beschwerderecht, wenn alles teurer wird
Obwohl es sich auch hier «nur» um ein Urteil eines Bezirksgerichts handelt, haben Mieterinnen und Mieter gute Chancen, sich gegen hohe Nebenkosten-Abrechnungen zu wehren - selbst wenn diese buchhalterisch korrekt sind. Voraussetzung ist allerdings immer, dass der Vermieter mit zu tiefen Akontobeträgen einen falschen Eindruck erweckt hat.
Das heisst aber auch: Lebt ein Mieter seit längerem in der gleichen Wohnung und reichen die Akontozahlungen wegen gestiegener Kosten - zum Beispiel beim Heizöl - mittlerweile längst nicht mehr aus, kann er sich nicht beschweren. Denn beim Vertragsabschluss waren die Akontobeträge noch realistisch.
Informationen zum Thema
- Saldo-Ratgeber: «Das Mietrecht im Überblick», Bestellmöglichkeit auf Seite 13
- Broschüre:
«Nebenkosten- und Heizkostenabrechnung», erhältlich für Fr. 10.- (Mitglieder Fr. 8.-) beim Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverband, Tel. 043 243 40 40, info@mieterverband.ch
Horrende Nebenkosten-Abrechnung? Wehren Sie sich sofort!
Falls Ihr Vermieter die Akontozahlungen zu tief angesetzt hat, gehen Sie wie folgt vor:
- Lassen Sie sich bei der Rechtsberatungsstelle Ihres kantonalen Mieterverbands beraten (für Mitglieder gratis). Für eine kurze Auskunft können Sie auch die Hotline des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbands anrufen (Tel. 0900 900 800, Fr. 3.40/Minute).
- Nehmen Sie mit dem Vermieter Kontakt auf und erklären Sie ihm, weshalb Sie nicht bereit sind, den ganzen Betrag zu bezahlen. Bei privaten Vermietern empfiehlt sich in der Regel das persönliche Gespräch, bei Verwaltungen der schriftliche Weg. Machen Sie nicht jahrelang die Faust im Sack, sondern wehren Sie sich sofort.
- Kommt keine Einigung zustande, können Sie sich gratis an die Schlichtungsbehörde wenden. Tun Sie das nicht und verweigern weiterhin die Zahlung, müssen Sie damit rechnen, dass der Vermieter Sie betreibt oder Ihnen eine Kündigungsandrohung wegen Zahlungsverzugs schickt.
- Im Fall einer Betreibung sollten Sie Rechtsvorschlag erheben. Droht der Vermieter mit einer Kündigung, ist es ratsam, seine Forderung zu erfüllen und den zu viel bezahlten Betrag über die Schlichtungsstelle zurückzufordern. Sonst riskieren Sie die Kündigung.
- Keine Schwierigkeiten mit hohen Nachforderungen haben Mieter, welche die Nebenkosten pauschal bezahlen. Bei dieser - weniger häufigen - Variante entfällt die jährliche Abrechnung.