«Neue Dimension des gläsernen Kunden»
Wer kauft was, wann, wo? - Ein neuartiger Funkchip liefert die Daten. Migros, Nestlé, Novartis & Co. sind in den Startlöchern.
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K-Tipp 12/2004
16.06.2004
Marc Meschenmoser - redaktion@ktipp.ch
Der deutsche Einkaufsriese Metro probt in seinem Supermarkt in Rheinberg (D) die Zukunft: Produkteverpackungen haben dort einen RFID-Chip (Radio Frequency Identification). Solche Chips melden über Funk, wenn das Regal leer ist, und übermitteln, ob der Kunde bezahlt und die Ladenkasse passiert hat, wie Saldo berichtete.
Im kommenden November steht die definitive Einführung an: Produzenten wie Nestlé, Gillette, Procter & Gamble und Johnson & Johnson sollen solche Chips (vorerst ...
Der deutsche Einkaufsriese Metro probt in seinem Supermarkt in Rheinberg (D) die Zukunft: Produkteverpackungen haben dort einen RFID-Chip (Radio Frequency Identification). Solche Chips melden über Funk, wenn das Regal leer ist, und übermitteln, ob der Kunde bezahlt und die Ladenkasse passiert hat, wie Saldo berichtete.
Im kommenden November steht die definitive Einführung an: Produzenten wie Nestlé, Gillette, Procter & Gamble und Johnson & Johnson sollen solche Chips (vorerst nur) auf Paletten und Kartons anbringen und 269 deutsche Filialen beliefern.
Die weltweit grösste Supermarkt-Kette, Wal-Mart, verlangt von ihren Lieferanten in den USA, bis Ende 2005 alle Paletten mit RFID-Chips auszurüsten. Auch der Schweizer Pharmamulti Novartis prüft den Einsatz in Medikamentenschachteln.
Das Problem für die Konsumenten: Solche Funkchips sind winzig klein, lassen sich in Verpackungen einschweissen und sind kaum zu erkennen. Die RFID-Technik macht es möglich, jedem Artikel oder Objekt eine eindeutige Nummer zu verpassen, die unbemerkt und berührungslos gelesen werden kann.
Die Unterschiede zum heutigen System mit den Barcodekassensystemen sind gross, denn die Objekte könnten einzeln identifiziert werden. Heute haben alle Thomy-Senftuben 200 g denselben Code. Mit der RFID-Technik erhält jede einzelne Tube ihren eigenen Code, und es könnte zum Beispiel nachgewiesen werden, dass die Tube, deretwegen eine Kundin heute im Coop reklamiert, gestern mit der Kundenkarte ihres Mannes in der Epa gekauft worden ist.
Zudem: Kann der RFID-Scanner auch nur einen Artikel dem Namen eines Käufers zuordnen - weil dieser mit der Kredit- oder Kundenkarte bezahlt hat -, kann er ihm die gesamte Ausstattung vom Schuh bis zum Bonbon in der Jackentasche zuordnen. Der deutsche Datenschutzbeauftragte, Peter Schaad, warnt denn auch: «Die Gefahr wird immer realer, dass durch die fortschreitende RFID-Verbreitung eine ganz neue Dimension des gläsernen Kunden entstehen wird.»
So können Konzerne ein detailliertes Kundenprofil erstellen. Technisch ist das bereits heute machbar. Doch sind zurzeit laut Fachleuten «Schnüffelchips» noch zu teuer für den Einsatz auf jedem einzelnen Produkt.
«Der Gesetzgeber muss einen Riegel schieben»
Auch in der Schweiz ist RFID mittlerweile Realität: Wer mit der Ciné-Card seinen Kinositz reserviert, passiert dank des Chips schneller die Kinokasse. Der Funksender übermittelt die Kundennummer, das Eintrittsgeld wird automatisch vom Guthaben abgebucht.
Die Migros schliesst nicht aus, Strichcodes auf den Lebensmitteln durch die umstrittene Technologie zu ersetzen. Sprecher Urs Peter Naef: «Die Verfolgung der RFID-Technologie steht wohl im Pflichtenheft jedes Detailhandelsunternehmens.» Naef schränkt aber ein: «Wir halten datenschützerische Bedenken für legitim.» Coop prüft «zukünftige Technologien laufend», hat aber - laut eigenen Aussagen - keine RFID-Projekte in Planung.
Marcel Jacomet erforscht an der Fachhochschule Biel seit Jahren die Anwendungsmöglichkeiten. Für ihn gibt es keinen Zweifel: «Der gläserne Kunde ist mit RFID möglich und die Anwender werden das ausnutzen. Deshalb muss der Gesetzgeber dieser Gefahr einen Riegel schieben.»
Dem schliesst sich der Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten, Daniel Menna, an: «Der Chip muss deklariert werden und Konsumenten müssen ihn in den Läden deaktivieren können.»
Nur: Auch Metro stellte nach Protesten ein Deaktivierungsgerät auf. Seither müssen Kunden den Chip für jedes Produkt einzeln «ausschalten» - womit der Grossdetaillist den Datenschutz bequem auf die Kunden abschiebt.
Sind Sie dafür, dass der Einsatz von Schnüffelchips in der Schweiz verboten werden soll? Antworten Sie bitte auf www.ktipp.ch.