Der Raiffeisenpräsident Guy Lachappelle verkündete im vergangenen November im «Tages-Anzeiger» noch vollmundig, er könne sich nicht vorstellen, dass seine Bank gegenüber Privatpersonen Negativzinsen erheben werde. Zwei Monate später ist diese Aussage bereits widerlegt: Die Raiffeisenbanken stellten ihren Kunden Anfang Januar ein Infoschreiben über «aktualisierte Reglemente» zu. Gemeint sind die Vertragsbedingungen. Man habe diese «den neuesten Gegebenheiten angepasst». Das neue Kleingedruckte wird dem Schreiben aber «aus Rücksicht auf die Umwelt» nicht beigelegt. Kunden müssen es im Internet suchen oder bei einer Filiale holen.
In den neuen Vertragsbedingungen nehmen sich die Raiffeisenbanken das Recht heraus, für die Konto-Guthaben der Kunden «jederzeit» Negativzinsen einzuführen. Wörtlich heisst es: «Die Bank behält sich vor, sämtliche Konditionen (einschliesslich Negativ- und Überzugszinsen) jederzeit, insbesondere bei veränderten Marktverhältnissen oder aus anderen sachlichen Gründen, einseitig anzupassen.» Das bedeutet: Es wäre möglich, dass Kunden per sofort keinen Sparzins mehr erhalten. Stattdessen könnte die Bank jedes Jahr einen Teil des Vermögens über eine neue Gebühr abzweigen.
Die Bank will auch diktieren, auf welche Weise sie Kunden über die neue Guthabengebühr zu informieren gedenkt. Laut den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) informiert die Raiffeisenbank die Kunden «auf geeignete Weise» mit einem Aushang in der Bank, per Brief oder elektronisch über Änderungen.
Müssen nun also die Kunden täglich im Internet oder in der Bankfiliale die aktuellen Zinsen nach allfälligen Änderungen durchsuchen? Thomas Koller, ehemaliger Professor an der Universität Bern, verneint dies: «Bei einer derart einschneidenden Vertragsänderung braucht es eine persönliche Benachrichtigung.» Es reiche nicht, Negativzinsen auf der Website oder mit einem Aushang in der Filiale anzukündigen. Koller ergänzt: «Eine sofortige Einführung von Negativzinsen ohne Übergangsfrist wäre ungewöhnlich und würde die Kunden einseitig erheblich benachteiligen.» Sie wäre somit unzulässig. «Eine Übergangsfrist von zwei Monaten würde ich als Minimum sehen, damit Kunden – etwa wegen Ferien – genügend Zeit haben, die Bank zu wechseln oder ein Schliessfach zu mieten und das Geld abzuheben.»
«Der Kunde muss zustimmen»
Besonders heikel wären sofortige Negativzinsen bei Sparkonten mit langen Kündigungsfristen, etwa von sechs Monaten. Koller sagt klar: «Eine Bank, die Negativzinsen vor Ablauf der Kündigungsfrist einführen will, muss zumindest auf die Kündigungsfrist verzichten.» Gleicher Meinung ist Peter Jung, Professor für Privatrecht an der Uni Basel: «Es kann nicht sein, dass die Bank die Konditionen zulasten des Kunden anpasst und dem Kunden keine Gelegenheit gibt, das Sparkonto durch fristlose Kündigung aufzulösen.»
Das deckt sich mit der Kritik von Jean-Marc Schaller, Titularprofessor für Zivilrecht an der Uni Zürich, die dieser bereits 2016 äusserte. Demnach dürften Banken bei einem bestehenden Sparkonto keine Negativzinsen einführen, indem sie das Kleingedruckte ändern. Der Wechsel zu Negativzinsen sei nur zulässig, wenn der Kunde ausdrücklich zustimme.
Raiffeisensprecher Joël Grandchamp sagt dazu: «Raiffeisen Schweiz empfiehlt den Raiffeisenbanken nach wie vor, ihren Privatkunden keine Negativzinsen zu berechnen.» Raiffeisen beobachte die Entwicklungen am Geld- und Kapitalmarkt jedoch sehr genau und behalte sich vor, die Situation bei Bedarf neu zu beurteilen. Die einzelnen Raiffeisenbanken seien autonom und frei in der Umsetzung der Empfehlung von Raiffeisen Schweiz.
Auch andere Banken räumen sich in den AGB das Recht auf Strafzinsen ein: Die Credit Suisse, Bank Cler, Migrosbank, Postfinance und Zürcher Kantonalbank sehen in den Verträgen zumindest eine Übergangsfrist von 30 Tagen vor. Auch die UBS sieht im Kleingedruckten die sofortige Einführung von Negativzinsen vor. Alle angefragten Banken erklären zumindest, sie würden die Kunden vorgängig kontaktieren, damit diese ihre Konten bei Bedarf rechtzeitig auflösen könnten.
Das kann man bei Negativzinsen tun
Neue Gebühren auf Guthaben sind nur mit Zustimmung des Kunden zulässig. Bei der Einführung von Negativzinsen kann man diese mit eingeschriebenem Brief ablehnen.
Kunden dürfen das Konto vor der Einführung der neuen Kosten auflösen und das Geld kostenlos zu einer anderen Bank zügeln – auch wenn sie eine längere Kündigungsfrist hätten.
Man kann das Bargeld abheben und in einem Schliessfach oder Tresor aufbewahren. Günstige Schliessfächer gibt es etwa bei der Berner Kantonalbank für 75 Franken im Jahr (K-Geld 4/2019).
Wer auf längere Sicht sparen will, kann Geld in Aktienfonds anlegen. Das lohnt sich in der Regel bei einem Anlagehorizont von mindestens 10 Jahren (K-Geld 1/2020).
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