Städte wie Zürich und zahlreiche weitere Gemeinden, die ihr Trinkwasser aus dem See gewinnen, haben ein neues Problem: Trifluoracetat, kurz TFA. Es handelt sich um ein Abbauprodukt von landwirtschaftlichen Pestiziden oder Arzneimitteln, die über die Kläranlagen in die Gewässer gelangen. TFA entweicht auch aus Fahrzeugklimaanlagen in die Luft und gelangt über den Regen in die Gewässer.
TFA baut sich in der Umwelt nicht ab. Auch bei der Trinkwasseraufbereitung ist dies nicht möglich. Folge: Hunderttausende Schweizer trinken Wasser mit diesem Stoff.
Die auf Pestizide spezialisierte Schweizer Umweltorganisation «Ohne Gift» hat im April Wasserproben aus dem Murten-, Bieler-, Hallwiler- und Zürichsee sowie der Limmat genommen und sie analysieren lassen. Resultat: In allen Gewässern und im daraus gewonnenen Trinkwasser ist TFA enthalten – zwischen 0,25 und 0,91 Mikrogramm/Liter (siehe Tabelle im PDF).
Für Fausta Borsani von «Ohne Gift» sind die Funde beunruhigend: «Hunderttausende Menschen nehmen diesen Stoff auf. Das Unheimliche an TFA ist, dass die Wissenschaft noch wenig über die Langzeitwirkung weiss.
Laut einem Bericht der gemeinnützigen internationalen Vereinigung der Wasseraufbereiter vom letzten Jahr sind TFA-Rückstände auch im menschlichen Blut nachgewiesen worden – 8 Mikrogramm pro Liter.
Einen gesetzlichen Grenzwert gibt es für den Stoff nicht. Dennoch ist der Wasserexperte Roman Wiget von der Berner Seeländer Wasserversorgung SWG beunruhigt: «Solche Stoffe gehören ganz grundsätzlich nicht ins Trinkwasser.»
Schweizer Behörden reagieren langsam
Internationale Wasserexperten wissen vom Problemstoff seit 2016. Deutsche und holländische Behörden untersuchen und überwachen TFA seither. Auch den Schweizer Behörden ist seit 2017 bekannt, dass Seen mit TFA belastet sind. Damals waren die Werte tiefer als heute (0,1 bis 0,2 Mikrogramm pro Liter).
In der Zwischenzeit sammelte sich in der Umwelt immer mehr vom langlebigen Problemstoff an. Doch die Behörden informierten die Öffentlichkeit bisher nicht. Das Bundesamt für Umwelt leitete erst 2020 eine «Spezialuntersuchung» ein. Erste Resultate liegen vor, die Messungen werden fortgesetzt. Deshalb wird das Bundesamt erst 2022 – also nach der Abstimmung über die Pestizid- und Trinkwasserinitiative am 13. Juni – über den Problemstoff TFA informieren.
Am stärksten verunreinigt ist in der aktuellen Laborprobe von «Ohne Gift» das aus dem Murtensee gewonnene Trinkwasser: 0,8 Mikrogramm pro Liter. Auf Anfrage des K-Tipp wollte das dafür zuständige Kantonale Labor Freiburg die gefundenen Werte nicht kommentieren.
Deutschland warnt vor TFA-Verunreinigungen
Anders in Deutschland: Das dortige Bundesumweltamt ruft die Landwirtschaft dazu auf, TFA-haltige Produkte durch Alternativen zu ersetzen. Und es warnt vor Verunreinigungen durch TFA: «Sollten unvorhersehbare Effekte eintreffen, sind diese nicht mehr zu korrigieren. Denn TFA kann nicht aus der Umwelt zurückgeholt werden.» Es gebe viele Chemikalien, deren Gefahr unterschätzt wurde.
Das Schweizer Bundesamt für Umwelt beschwichtigt derweil: Laut aktuellem Kenntnisstand seien die Oberflächengewässer weit unterhalb des ökotoxikologischen Schwellenwertes belastet.