Der Ärger ist gross: «Mega Frechheit! Sieht so die Belohnung für umweltbewusste Benutzer des öffentlichen Verkehrs aus?», schreibt Irma F. auf der Internetseite der Organisation Campax. «Ich kann nicht noch mehr zahlen», stellt Sarah D. nüchtern fest. Und Herbert A. kritisiert: «Es ist ein Hohn, die Preise zu erhöhen, wo doch immer mehr Menschen in der Armut landen.»
Alle Votanten unterstützen die Petition «ÖV-Preiserhöhung stoppen!», für welche Campax gegen die kürzlich präsentierten Pläne des Branchenverbands Alliance Swisspass Unterschriften sammelt (siehe Kasten). Alliance Swisspass ist die Organisation, in der sich 250 Unternehmen des öffentlichen Verkehrs zusammengeschlossen haben.
2. Klasse: Aufschlag um 4,8 Prozent
Laut den Plänen der Branche sollen die Tarife im öffentlichen Verkehr am 10. Dezember um durchschnittlich rund 4,3 Prozent aufschlagen. Für das Halbtaxabo müssten Erwachsene beim Erstkauf 190 statt 185 Franken zahlen, für das 2.-Klasse-Generalabonnement (GA) 4080 statt 3860 Franken. Einzelbillette, Tages- und Mehrfahrtenkarten würden in der 1. Klasse um 1,9 Prozent und in der 2. Klasse um 4,8 Prozent teurer. Alliance Swisspass begründet die Aufschläge unter anderem damit, die Preise des öffentlichen Verkehrs seien sieben Jahre lang stabil geblieben.
Das trifft zu. Blickt man allerdings etwas weiter zurück, zeigt sich: Die jetzt angekündigte Preiserhöhung wäre schon der 15. Aufschlag seit 1990. In dieser Zeit verteuerte sich das Halbtaxabo für Erwachsene um 68 Prozent von 110 auf 185 Franken und das 2.-Klasse-GA um fast 80 Prozent von 2150 auf 3860 Franken. Das gewöhnliche Retourbillett kostet auf vielen Strecken heute gar mehr als doppelt so viel wie 1990 – etwa auf der Paradestrecke Bern–Zürich, wo es von 50 auf 102 Franken aufschlug (siehe Tabelle im PDF). Das ist eine Preissteigerung um 104 Prozent. Zum Vergleich: Von Januar 1990 bis März 2023 betrug die Teuerung insgesamt nur 40,7 Prozent.
Günstiger fahren die Autobesitzer: Der Preis für einen Autokilometer mit einem durchschnittlichen Mittelklasseauto stieg in der gleichen Periode nur um 29 Prozent auf 75 Rappen, bei jährlich 15 000 Fahrkilometern. Das zeigen Zahlen des Touring-Clubs der Schweiz. Die Kostenschere zwischen öffentlichem und privatem Verkehr wird also immer grösser. Eine weitere Verteuerung der Tarife im öffentlichen Verkehr steht vor diesem Hintergrund in eklatantem Widerspruch zum Ziel, zugunsten von Klima und Umwelt möglichst rasch möglichst viele Autofahrer zum Umstieg auf Bahn und Bus zu bewegen.
Die SBB wollen dazu nichts sagen. Sie lassen alle Fragen des K-Tipp unbeantwortet und begnügen sich mit dem Hinweis, man trage den Branchenentscheid von Alliance Swisspass mit. Insider sagen dem K-Tipp: Bei Alliance Swisspass geben die SBB als grösster Bahnbetrieb der Schweiz den Tarif durch.
Die SBB haben hohe Reserven
Finanziell hätten die SBB die Mehreinnahmen nicht nötig. Dies geht auch aus ihrem jüngsten Geschäftsbericht hervor. Die Rechnung im Personenverkehr endete 2022 trotz den Folgen der Pandemie ausgeglichen. Vor Corona schrieben die SBB im Personenverkehr mehr als 15 Mal in Folge schwarze Zahlen. Der gesamte Konzerngewinn beträgt in der Summe der 20 Jahre von 2003 bis 2022 rund 3,5 Milliarden Franken. Ende 2022 wiesen die SBB in ihrer Konzernbilanz ein Eigenkapital von 12,2 Milliarden Franken aus – ein stattliches Vermögen.
Auch die zwei anderen grossen Bahngesellschaften fahren finanziell erfolgreich: Im Personenverkehr schaffte es die BLS 2022 ohne Bundeshilfe wieder in die Gewinnzone. Die Rhätische Bahn (RhB) erzielte im Personenverkehr Erträge von 99,6 Millionen Franken – fast gleich viel wie im Rekordjahr 2019. Auf Konzernebene weist die RhB einen Gewinn von 4,2 Millionen Franken aus. Angesichts solcher Zahlen erscheinen die angekündigten Tarifaufschläge erst recht als fragwürdig.
Die BLS sagt wie die SBB bloss, sie stehe «hinter dem Entscheid der ÖV-Branche». Die Rhätische Bahn hingegen nimmt die Pläne von Alliance Swisspass nur «zur Kenntnis» und teilt dem K-Tipp mit: «Die Bündner Verbünde prüfen gemeinsam mit den zuständigen Stellen beim Kanton, ob Tarifmassnahmen übernommen werden.» Insider bestätigen dem K-Tipp: Die RhB sprach sich im Vorstand von Alliance Swisspass gegen die Preiserhöhungen aus, scheiterte aber an der Macht der SBB und von deren Verbündeten.
Preisüberwacher will Aufschläge prüfen
Bis Anfang Mai können alle 250 Transportunternehmen und 18 Verkehrsverbünde über die geplanten Preiserhöhungen abstimmen. Sind sie dafür, geht die Sache an den Preisüberwacher. Stefan Meierhans hat bereits angekündigt, dass er die geplanten Tarifaufschläge «kritisch prüfen» werde.
Petition gegen höhere Tarife bei Bahn und Bus
Die Organisation Campax sammelt seit Donnerstag vor Ostern Unterschriften für ihre Petition «ÖV-Preiserhöhung stoppen!». Sie will die Petition Ende April dem Branchenverband Alliance Swisspass übergeben. In den ersten 14 Tagen kamen über die Internetseite Act.campax.org über 20 000 Unterschriften zusammen.
Internetlink zur Petition: https://act.campax.org.