Sehr geehrter Herr X
Sie waren kürzlich abends bei mir zu Hause zu Besuch, weil Sie mich zu einer anderen Krankenkasse vermitteln wollten. Das ist Ihnen nicht gelungen. Das tut mir leid.
Ich möchte klarstellen: Es lag nicht an Ihnen persönlich. Sie sind ein sympathischer Mensch. Dass Sie unter sämtlichen Fingernägeln Trauerränder hatten, störte mich überhaupt nicht. Ich dachte, Sie haben vielleicht tagsüber einen ehrenwerten Beruf, Automechaniker oder so.
Aber nein, Sie haben mir gesagt, dass Sie nichts anderes tun als Krankenkassen verkaufen. Und dass Sie davon leben können. Schön für Sie.
Dass Sie über eine halbe Stunde zu spät gekommen sind – auch das verzeihe ich Ihnen. Immerhin haben Sie angerufen und die Verspätung angekündigt.
Dass Sie keine Visitenkarte dabei hatten, kann ich Ihnen auch noch durchgehen lassen. Die seien gerade im Druck, haben Sie gesagt.
Sie reden nur gebrochen Deutsch. Auch damit könnte ich leben. Sie haben mir ja freundlicher-weise Ihre Identitätskarte gezeigt. Dort habe ich gesehen, dass Sie wirklich X heissen. Aufgrund Ihres Vornamens (S. oder so ähnlich) wurde mir dann klar, warum Sie zeitweise so schwer zu verstehen waren. Egal. Mir kann auch ein Ausländer etwas verkaufen. Er sollte allerdings von der Materie eine Ahnung haben.
Sie wollten mir die Krankenkasse mit dem seltsamen Namen Sympany verkaufen, die früher ÖKK hiess. Ich hätte dort die gleichen Leistungen wie bei meiner jetzigen Krankenkasse, Helsana, versprachen Sie. Das war dick aufgetragen. Ich habe bei der Helsana die beiden Zusatzversicherungen Top und Sana. Sie mussten mich fragen, was dort genau versichert sei!
Herr X: In der Schweiz haben mehrere hunderttausend Personen diese Deckung. Finden Sie nicht, dass Sie diese Produkte auswendig kennen müssten, bevor Sie Versicherte mit dem Argument weglocken, sie seien anderswo gleich gut versichert?
Gestaunt habe ich auch, als wir auf meine Zusatzversicherung Sana zu sprechen kamen. Auf meiner Police steht dazu «Komplementärmedizin». Sie wollten mir auf dem Leistungsblatt der Sympany das Ebenbürtige zeigen – haben es aber nicht gefunden, weil es dort unter «Alternativmedizin» zu finden ist.
Den Vogel abgeschossen haben Sie mit dem Rechtsschutz. Ich habe bei der Helsana die Advocare Plus, also einen vollwertigen Privat- und Verkehrsrechtsschutz. Sie sind der Ansicht, bei der Sympany wäre ich gleich versichert – obwohl ich dort nur einen eingeschränkten Patientenrechtsschutz hätte.
Wie gesagt: Es tut mir leid, dass Sie bei mir nicht punkten konnten. Und ich bedaure, dass Sie dafür sogar noch 50 Franken gezahlt haben.
Diese Fehlinvestition haben Sie getätigt, weil Sie sich Ihre Termine von einem Callcenter vereinbaren lassen. Die rufen wahllos Leute an, geben sich als neutrales «Beraterzentrum» oder so ähnlich aus und fragen, ob ein Krankenkassenberater für ein unverbindliches Gespräch vorbeikommen dürfe. Ich habe Ja gesagt. Sie haben dann dem Callcenter «meinen» Termin
abgekauft.
Ich will Sie aber auch loben. Sie haben betont, Sie würden die beiden Krankenkassen Assura und Groupe Mutuel nicht verkaufen, weil sich die Kunden dort in den Zusatzversicherungen für fünf Jahre binden müssen. Hut ab, das ist doch sehr kundenfreundlich gedacht!
Ernst Meierhofer, Redaktor K-Tipp