Alles ging schnell: Maja Bär (Name geändert) telefonierte am Freitag, 6. September 2019, gegen 16.30 Uhr noch mit einer Kundin. Als Aussendienstlerin verkaufte sie unter anderem Gewürze und Nahrungsergänzungsmittel. Plötzlich brach das Gespräch ab, die 56-Jährige konnte nicht mehr sprechen. Maja Bär brach zusammen – Hirnschlag.
Ihr Ex-Freund Carl Widmer (Name geändert) fand sie eine Stunde später in ihrem Wohnzimmer. Er alarmierte die Ambulanz. Widmer und Bär lebten seit Jahren im gleichen Haus in Rickenbach TG in verschiedenen Wohnungen.
Ärzte entnahmen der Frau mehrere Organe
Widmer sagt dem K-Tipp, das Spital habe ihn gegen 23.30 Uhr angerufen und gesagt, er solle vorbeikommen. Der Chefarzt habe ihn nach seinem Verhältnis zur Patientin gefragt. Er habe geantwortet: «Wir sind seit 20 Jahren zusammen.» Die Ärzte teilten ihm mit, dass die Patientin schwere Hirnschäden habe. Er entschied, die Maschinen abstellen zu lassen. Der Chefarzt fragte ihn, ob er annehme, dass Bär mit einer Organspende einverstanden gewesen wäre. Widmer bejahte das. Sie habe öfter gesagt, etwas für andere Menschen tun zu wollen. Daraufhin entnahmen die Ärzte am Kantonsspital der hirntoten Frau Lunge, Leber, Nieren, Herzklappen und die Hornhäute der Augen.
Doch das war nicht im Sinn der Sterbenden. Maja Bär hatte nämlich eine Patientenverfügung hinterlassen und darin geschrieben: «Ich stehe nicht als Organspenderin zur Verfügung und lehne Transplantationen ab.» Zwei Schwestern fanden das Dokument in Bärs Schreibtisch – jedoch erst, als sie die Wohnung räumten.
Vier Wochen nach Bärs Tod erhielt Widmer einen Dankesbrief des Kantonsspitals: «Nun ist seit dem tragischen Tod ihrer lieben Frau ein Monat vergangen», schrieb der Koordinator für Transplantationen. Er sprach dem vermeintlichen Ehemann «meinen aufrichtigen Dank und meine grösste Achtung» aus und teilte mit, Lunge, Leber und Nieren der Verstorbenen seien «erfolgreich in der Schweiz transplantiert» worden.
Seraina Lerch aus Langenthal BE ist die Nichte von Maja Bär. Die 27-Jährige bemängelt das Vorgehen des Spitals. Es habe das Verhältnis des ehemaligen Freundes zu ihrer Tante nicht korrekt überprüft: «Die Ärzte hätten ihn nicht nach der Haltung meiner Tante zur Organspende fragen dürfen. Er war nicht ihre engste Vertrauensperson.» Widmer und Bär seien zwar früher ein Paar gewesen, zum Zeitpunkt des Hirnschlags aber schon lange getrennt gewesen, sagen die Familienangehörigen.
Auch zwei Schwestern von Bär kritisieren, dass das Spital sie weder über die Organentnahme informiert noch zur Beziehung von Widmer zu ihrer Schwester befragt habe.
Das Kantonsspital äussert sich zum Fall nicht. Der Kanton müsse dazu die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinden. Die Prüfung sei im Gang. Ein Sprecher des Spitals hält aber fest: «Willensäusserungen in allfällig vorhandenen Patientenverfügungen werden strikt befolgt.»
Carl Widmer bestreitet, Fehler gemacht zu haben. Auf die Frage, warum er sich als Lebenspartner von Bär ausgegeben habe, sagt er nur: «Wir hatten unsere Probleme.»
«Es braucht ein ausdrückliches Ja»
Franziska Sprecher, Assistenzprofessorin an der Uni Bern, fordert grundsätzlich eine Lösung, bei der alle Bürger eine Entscheidung vor dem Eintritt des Ernstfalls treffen: «Für eine Organentnahme braucht es ein ausdrückliches Ja des Spenders. Es reicht nicht, mit selbsterklärten Partnern oder Angehörigen zu reden.» Wie das Beispiel zeige, seien Ärzte oft überfordert, wenn sie unter Zeitdruck abklären müssten, wer die nächsten Angehörigen sind.
Ja-Kampagne: Keine Angaben zur Finanzierung
Die Kampagne für ein Ja zur Änderung des Transplantationsgesetzes wirbt mit jungen Gesichtern. «Stimmen Sie Ja zum Leben», sagen junge Männer und Frauen auf Plakaten. Die Befürworter werben in und auf Trams, auf Bahnhofbildschirmen und im Internet.
Hinter der Kampagne steht die Genfer Stiftung Reload: Sie wurde 2018 gegründet. Ihr Ziel ist es laut Handelsregister, die Bevölkerung zu «sensibilisieren» und die Organspende zu «befördern». Auf ihrer Website wirbt die Stiftung für Transplantationen, unter anderem mit Slogans wie «Eine einzige Organspende kann sieben Leben retten» oder «Auch dein Körper ist recyclable».
Stiftungspräsident ist der Genfer Unternehmer Niki Pirker. Er litt laut Stiftungs-Website als Kind an einer schweren Lungenkrankheit und überlebte nur dank einem Spenderorgan. Der K-Tipp wollte wissen, wie viel Geld für die Kampagne fliesst und woher es stammt. Die Stiftung beantwortete die Fragen nicht.
Eine ähnliche Kampagne lancierte das Komitee «Ja zum Transplantationsgesetz»: Die Stiftung Pro Transplant gibt an, sie zahle einen Betrag an die Kampagne. Auch sie wollte weder Zahlen nennen noch Angaben zur Herkunft des Geldes machen.
Das Referendum ergriffen hat das Komitee «Nein zur Organentnahme ohne Zustimmung». Es besteht aus Pflegefachleuten, Ärzten, Ethikern sowie Politikern aus fast allen Parteien. Laut Komitee- Co-Präsidentin Susanne Clauss ist die Kampagne von Kleinspendern finanziert. Zurzeit stünden für die Kampagne nur 10 000 Franken zur Verfügung. Ziel sei es, 50 000 Franken zu sammeln.