Passagiere im Blindflug
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Flugbetriebe haften unbeschränkt, falls bei einem Unfall Passagiere zu Schaden kommen. Doch bei einigen Firmen könnte die Versicherungsdeckung knapp werden.
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K-Tipp 11/2003
04.06.2003
Thomas Müller - tmueller@ktipp.ch
Der Schweizer Gesetzgeber fasst die Airlines und Helikopterunternehmen mit Samthandschuhen an: Er schreibt ihnen eine Versicherungsdeckung von bloss 500 000 Franken pro Passagier vor.
«Das ist zu wenig», erklärt Rechtsanwältin Regula Dettling-Ott, Privatdozentin für Luftrecht an der Universität Bern. «Falls ein Passagier schwer verletzt wird oder stirbt und Angehörige dadurch ihren Versorger verlieren, kann ohne weiteres ein Schaden zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Franken e...
Der Schweizer Gesetzgeber fasst die Airlines und Helikopterunternehmen mit Samthandschuhen an: Er schreibt ihnen eine Versicherungsdeckung von bloss 500 000 Franken pro Passagier vor.
«Das ist zu wenig», erklärt Rechtsanwältin Regula Dettling-Ott, Privatdozentin für Luftrecht an der Universität Bern. «Falls ein Passagier schwer verletzt wird oder stirbt und Angehörige dadurch ihren Versorger verlieren, kann ohne weiteres ein Schaden zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Franken entstehen. Hatte der Fluggast ein hohes Einkommen, liegt der Betrag noch höher.»
Eine halbe Million pro Fluggast
Bis vor einem Jahr brauchten solche immensen Schadensummen die Airlines und Helikopterfirmen nicht speziell zu kümmern. Denn ihre Haftung war gemäss schweizerischem Lufttransportreglement ebenfalls auf 500 000 Franken beschränkt, sofern sie nicht grob fahrlässig handelten.
Seit dem 1. Juni 2002 gilt aber für alle hiesigen Flugunternehmen die «EG-Verordnung über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen». Sie brachte massive Verschärfungen:
- Die Helikopterfirmen und Fluggesellschaften haften unbeschränkt für den nach-gewiesenen Schaden. Dieser strengen Haftung entgehen sie nur, wenn sie beweisen können, dass sie alle Massnahmen getroffen haben, um den Unfall zu vermeiden. Erbringen sie den Beweis, haften sie für max. 180 000 Franken pro Passagier.
- Flugunternehmen müssen verletzten Passagieren respektive den Angehörigen von Getöteten innert 15 Tagen einen Vorschuss auszahlen. Im Todesfall sind das mindestens 27 000 Franken.
- Über diese Regeln müssen die Gesellschaften ihre Kunden auf dem Ticket, an Verkaufsstellen und Abfertigungsschaltern «in verständlicher Sprache» informieren.
Airlines und Helikopterunternehmen haften also grundsätzlich unbeschränkt, müssen aber weiterhin nur für 500 000 Franken pro Fluggast versichert sein.
Deshalb wollte der K-Tipp wissen, ob sie sich freiwillig besser versichert haben. Auf die Frage, wie hoch ihre Versicherungsdeckung sei, antworteten die Gesellschaften so:
- Swiss: Deutlich über dem verlangten Minimum. Genauere Angaben wollte Mediensprecher Dominik Werner nicht machen.
- Edelweiss: Deutlich über 2,5 Millionen Franken pro Passagier
- Belair: 800 Millionen US-Dollar pro Schadenfall
- Helog und Lions-Air: 1,4 Millionen Franken pro Passagier
Grosse Unterschiede bei Heli-Unternehmen
Die übrigen angefragten Helikopterfirmen sind nicht «pro Passagier», sondern «pro Schadenfall» versichert. Die Versicherungssumme kommt hier nicht nur getöteten und verletzten Passagieren zugute, sondern muss auch für Personen- und Sachschäden am Boden reichen (Beispiel: Helikopter stürzt in ein Wohnhaus).
Obwohl die Helis dieser Firmen etwa gleich gross sind - Platz für max. fünf bis sechs Passagiere -, zeigen sich bei der Versicherungsdeckung grosse Unterschiede:
- Heli-Link: 50 Millionen Franken. «Wir machen VIP-Transporte», begründet der Geschäftsführer Hanspeter Candrian die hohe Summe.
- Air Glacier: 25 Millionen Franken
- Bohag Berner Oberländer Helikopter: 20 Millionen Franken
- Air Grischa, Heliswiss und Valair Helikopters: 18 Millionen Franken
- Alpliner, Cat Heli und Heli-Gotthard: 10 Millionen Franken
- Classic Air und Bonsai Helikopter wollten keine Auskunft geben.
Bei einem Absturz über bewohntem Gebiet könnte ein Betrag von 10 Millionen Franken schnell aufgebraucht sein. Deshalb sollten sich Konsumenten über die Versicherungsdeckung informieren, bevor sie einen Rundflug buchen.
Bei Privatflügen hängt die Haftung vom Ticket ab
Indem sie ein Entgelt verlangen und ein Ticket ausstellen, können Privatpiloten ihre Haftung beschränken.
Wer als Freizeitpilot jemanden - etwa zum Geburtstag - zu einem Rundflug einlädt, haftet unbeschränkt, wenn ein Unfall passiert.
Befördert ein Privatpilot seinen Passagier jedoch gegen Bezahlung und stellt ein Ticket aus, ist seine Haftung auf 72 500 Franken beschränkt (ausser es treffe ihn ein schweres Verschulden). Auch die Haftpflichtversicherung muss dann höchstens diesen Betrag zahlen.
Das kann zu menschlich schwierigen Situationen führen - vor allem, wenn sich die Angehörigen von Pilot und Passagier kennen. Deshalb empfiehlt die Luftrecht-Expertin Regula Dettling-Ott, für Privatflugzeuge eine Insassenversicherung abzuschliessen.