Jeder Angestellte spart für sich selbst. So lautet das Prinzip der zweiten Säule. Bei der Pensionierung setzt sich das Altersguthaben aus den Lohnabzügen, den Arbeitgeberbeiträgen und dem Zinsertrag zusammen. Das angesparte Geld wird in eine Monatsrente umgewandelt oder auf Wunsch als Kapital ausbezahlt.

Allerdings: Ein grosser Teil des Gelds fliesst nicht ins Alterskapital der Versicherten. Pensionskassen und Lebensversicherer, die in diesem Geschäft ebenfalls kräftig mitmischen, leiten Milliarden von Franken in ihre Reserven.

Der K-Tipp rechnete aus, wie viel Geld Ende 2023 in der zweiten Säule angespart war und wie viel
davon bei den Versicherten landete. Er stützte sich auf den jährlichen «Bericht zur finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtun­gen» der Oberauf­sichts­­kommis­sion Berufliche Vorsorge. Und er wertete die Betriebsrechnungen «berufliche Vorsorge» jener Lebensversicherungen aus, die im Bereich der zweiten Säule tätig sind.

Kassen zahlen immer tiefere Renten aus

Resultat: Ende 2023 betrug das gesamte gesparte Kapital in der zweiten Säule 1324 Milliarden Franken. Davon waren nur 1168 Milliarden Franken dem Altersguthaben gutgeschrieben. Die Differenz von 156 Milliarden Franken verbuchten die Kassen als Reserven, Rückstellungen, freie Mittel und Überschüsse. Mit anderen Worten: 11,8 Prozent des Gesamtkapitals kamen nicht direkt den Versicherten zugute.

Zum Vergleich: Mit 156 Milliarden Franken waren die Reserven in der zweiten Säule Ende letzten Jahres mehr als dreimal so hoch wie das Vermögen der AHV (K-Tipp 12/2024). Sie betrugen 28,5 Milliarden mehr als Ende 2022 – und 52 Milliarden oder 50 Prozent mehr als Ende 2015. Das gesamte angesparte Kapital in der zweiten Säule wuchs im gleichen Zeitraum aber «nur» um knapp 21 Prozent auf 1324 Milliarden. Für das starke Wachstum der Reserven gibt es im Wesentlichen drei Gründe:

  • Pensionskassen und Lebensversicherer erwirtschaften mit den Altersguthaben seit Jahren fast immer mehr Ertrag, als sie in Form von Zinsen weitergeben. Laut Studien von Swisscanto, einer Tochtergesellschaft der Zürcher Kantonalbank, erzielten die Kassen von 2012 bis 2021 mit dem Geld der Versicherten im Durchschnitt eine Nettorendite von 5,4 Prozent. Deren Altersguthaben verzinsten sie aber nur mit 2,4 Prozent.
  • Die Kassen zahlten in den letzten Jahren immer tiefere Renten aus. Das Gesetz schreibt zwar vor, die Guthaben mit ­einem Umwandlungssatz von mindestens 6,8 Prozent in eine Rente umzuwandeln. Das gilt aber nur für obligatorisch versicherte Löhne zwischen 25 725 und 88 200 Franken. Bei Versicherten, die freiwillig mehr einzahlen, weil sie mehr verdienen oder ihre Arbeitgeber mehr als das Obligatorium ­versichern, dürfen die ­Pensionskassen den Umwandlungssatz kürzen. Laut Swiss­canto sank der durchschnittliche Umwandlungssatz für Männer imAlter 65 von 6,25 Prozent im Jahr 2015 auf 5,31 Prozent.
  • Die Kassen stellen für jeden Rentner bei der Pensionierung einen bestimmten Betrag zurück. Diesen berechnen sie in der Regel sehr grosszügig, das heisst unter Annahme einer zu hohen Lebenserwartung und einer tiefen Rendite der Altersguthaben.

Auch mit dem Geld der Rentner erwirtschaften die Kassen eine Rendite von 5,4 Prozent. Sie berechnen die Rückstellung aber mit einem fiktiven Zinssatz von unter 2 Prozent. Die Rückstellungen sind deshalb oft zu hoch. Folge: Beim Tod eines Rentners bleibt Geld übrig: der sogenannte  Pensionierungsgewinn, der den Reserven zufliesst.

Für die Versicherten haben die hohen Reserven in der zweiten Säule Nachteile: Sie werden ­ihrem Altersguthaben vorenthalten und schmälern so das Alterskapital respektive die Rente. Zudem können Angestellte, welche die Stelle wechseln, nur ihr – meist tief verzinstes – Altersguthaben als Freizügigkeits­kapital mitnehmen. Aus den Reserven erhalten sie keinen Rappen.

Unrealistisch tiefe Zinserwartungen

Die Pensionskassen dagegen schwimmen im Geld. Ihre gute Verfassung zeigt sich auch im Wachstum der Deckungsgrade. Ein Deckungsgrad von 100 Prozent würde genügen, um alle Ansprüche der Versicherten auszuzahlen. Doch er betrug bei den privatrechtlichen Kassen schon Ende 2022 im Durchschnitt 110,1 Prozent und kletterte bis Ende 2023 auf 113,5 Prozent, wie aus der jüngsten Swisscanto-Studie hervorgeht. Tatsächlich ist der Deckungsgrad noch viel höher: Denn die Kassen rechnen mit ­einem unrealistisch tiefen künftigen Zinsertrag auf dem Alterskapital – die meisten mit weniger als 2 Prozent.