Perfides SBB-Lohnsystem
Für das SBB-Schalterpersonal gibt es künftig nur mehr Lohn, wenn sie ihre Kunden dazu bringen, ihre Billette vermehrt am Automaten oder im Internet zu kaufen.<br />
Inhalt
K-Tipp 09/2012
02.05.2012
Daniel Jaggi
Bei den SBB gelten für das Schalterpersonal neu konkrete Jahresziele. Diese werden von den Vorgesetzten definiert und müssen von den Angestellten erreicht werden. Unterschieden wird zwischen Zielen für den einzelnen Angestellten und Zielen für das ganze Schalterteam eines Bahnhofs.
Dem K-Tipp liegen die offiziellen Formulare für die Personalbeurteilung vor, die von den SBB als «vertraulich» eingestuft sind. Darin werden die Teamziele bei der j&...
Bei den SBB gelten für das Schalterpersonal neu konkrete Jahresziele. Diese werden von den Vorgesetzten definiert und müssen von den Angestellten erreicht werden. Unterschieden wird zwischen Zielen für den einzelnen Angestellten und Zielen für das ganze Schalterteam eines Bahnhofs.
Dem K-Tipp liegen die offiziellen Formulare für die Personalbeurteilung vor, die von den SBB als «vertraulich» eingestuft sind. Darin werden die Teamziele bei der jährlichen Beurteilung eines Angestellten durch die Chefs mit 40 Prozent gewichtet.
Das heisst: Um eine gute Beurteilung und damit mehr Lohn zu erhalten, müssen die Ziele vom ganzen Team nicht nur erreicht, sondern übertroffen werden. Dadurch ist jeder Schalterangestellte von der Qualität der Arbeit seiner Kollegen abhängig.
Für Elisabeth Jacchini, bei der Gewerkschaft SEV zuständig für das SBB-Betriebs- und -Verkaufspersonal, ist das eine heikle Sache: «Leistet nur einer keine gute Arbeit, dann führt das sofort zu Unruhe im Team.»
Als Teamziele werden im Formular unter anderem genannt: kürzere Wartezeiten am Schalter und eine Zunahme bei den Verkaufszahlen für Tickets am Automaten sowie im Internet.
Ein Schalterangestellter, der anonym bleiben will, sagt gegenüber dem K-Tipp: «Mir ist schleierhaft, wie ich den Internetverkauf beeinflussen kann.» Zudem wüssten die Angestellten nicht einmal, wie die Teamziele gemessen werden.
Kommt hinzu: Kürzere Wartezeiten am Schalter und die gleichzeitige Propagierung des Online-Kaufs widersprechen sich. Denn mehr Online-Billette haben häufig Mehrarbeit für die Schalterangestellten zur Folge. Der Grund: Viele Tickets werden zu Hause falsch ausgedruckt und müssen am Schalter aufwendig korrigiert werden. Längere Wartezeiten drohen auch, wenn Bahnreisende künftig am Bahnhofsschalter sogar Bareinzahlungen vornehmen können, wie dies die SBB planen.
Die SBB haben zu dieser neuen Form der Personalbeurteilung nicht Stellung genommen.
Kollegen anschwärzen erwünscht
Jetzt sollen SBB-Angestellte ihre Kollegen ganz offiziell anschwärzen: Seit Anfang April haben die SBB eine entsprechende Hotline in Betrieb. Über eine interne Telefonnummer können die 28 000 Bähnler auf Missstände aufmerksam machen.
In der Mitarbeiterzeitung schreiben die SBB unter dem Titel «Eskalations-Hotline»: Man könne anrufen, «wenn wesentliche Mängel nicht angepackt werden und man nicht weiss, an wen man sich wenden kann». Dass es den SBB aber keineswegs nur um «wesentliche Mängel» geht, gab SBB-Pressesprecherin Lea Meyer gegenüber der Zeitung «Sonntag» zu. Sie erklärte, man erwarte, dass SBB-Mitarbeiter auch Bagatellen melden würden, «wenn beispielsweise der Verkaufsschalter auf einem kleinen Bahnhof einige Minuten vor der Schliessungszeit nicht mehr bedient wird».
Peter Moor von der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV ist entrüstet: «Wir haben angenommen, dass es bei der Hotline nicht darum geht, Kollegen zu denunzieren, sondern darum, auf Probleme aufmerksam zu machen, die Vorgesetzte nicht anpacken.» Deshalb will die SEV bei der SBB-Spitze vorstellig werden.