Zweimal Mercedes mit Dieselmotor: der 1,5 Tonnen schwere Personenwagen «C 220 CDI» und der 18 Tonnen schwere Lastwagen «Actros 1848». Beide sollen dank einem speziellen Abgasfilter vergleichsweise wenig schädliches Stickoxid ausstossen. Beide erfüllen die strenge Abgasnorm Euro 6. Doch hier hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf.
Denn: Gemäss wissenschaftlichen Messungen – unter anderem des niederländischen Prüfinstituts TNO – stösst das Auto mehr als doppelt so viel Stickoxid aus wie der Sattelschlepper. Beim Lastwagen sind es 250 Milligramm pro Kilometer (mg/km), beim Personenwagen 643 mg/km. Grund: Bei der Zulassung von Lastwagen wird unter realistischen Bedingungen getestet. Bei Personenwagen jedoch anhand theoretischer Werte im Labor.
Lastwagen und einige moderne Personenwagen verfügen über das gleiche Filtersystem, den SCR-Katalysator. Dieser funktioniert so: Ein Stoff namens AdBlue wird in die Abgase eingespritzt. Er besteht im Wesentlichen aus Harnstoff und Wasser. AdBlue wandelt die Stickoxide aus dem Dieselmotor in Wasser und Stickstoff um.
Eine Stichprobe der ZDF-Sendung «Frontal21» deckte auf, dass bei Personenwagen viel zu wenig AdBlue eingespritzt wird. Die Tester hatten die Mittelklasse-Limousine Opel Insignia CDTI rund 3800 Kilometer gefahren und Treibstoff- sowie AdBlue-Verbrauch überprüft. Resultat: Der Opel verbrauchte auf der Strecke 238 Liter Diesel – aber nur 1,35 Liter AdBlue. Zum Vergleich: Ein normaler Lastwagen benötigt pro 100 Liter Diesel etwa 7 Liter AdBlue, damit die Bindung des Stickoxids funktioniert.
Somit ist klar: Opel lässt beim Insignia zu wenig Harnstoff einspritzen. Auf der Strasse stösst das Auto deshalb dreimal mehr Stickoxide aus als gemäss Euro-6-Norm erlaubt.
Opel-Sprecher Christoph Bleile schreibt dem K-Tipp: «Alle Abgasstandards werden erfüllt.» Mehr AdBlue einzuspritzen sei technisch nicht möglich.
Tatsache ist: Der AdBlue-Tank der meisten Personenwagen ist viel zu klein. So fasst der Tank des Opel Insignia nur gerade 7,9 Liter Harnstoff. Das heisst: Würde man gleich viel wie bei Lastwagen einspritzen, wäre der Tank schon nach rund 1600 Kilometern leer. Darum der Verdacht: Hersteller bauen das System nur ein, um die geforderten Abgaswerte im Labor zu erreichen.
Die Frage, wie Mercedes es schafft, relativ saubere Lastwagen zu bauen, nicht aber saubere Personenwagen, wurde nicht beantwortet.
Stickoxid-Grenzwerte werden regelmässig überschritten
Zu viel Stickoxide (NOx) in der Atemluft verursacht Lungenkrebs, Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Doch in Städten und Agglomerationen werden die Grenzwerte seit 1995 regelmässig um ein Mehrfaches überschritten. Das zeigen Messungen des Bundesamts für Umwelt. Trotz immer strengeren Abgasvorschriften hat sich in den letzten Jahren wenig getan: «Vor allem Dieselfahrzeuge stossen zu viel Stickoxide aus», sagt Valentin Delb vom Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich. Dieses nimmt seit 15 Jahren regelmässig Proben von hunderttausenden vorbeifahrenden Autos in Zürich.