Ein Bächlein fliesst durch den Spielplatz Birkenwäldli im zugerischen Unterägeri. Die Temperaturen sind frühlingshaft. Kinder schaukeln, rennen und klettern in der grosszügigen Anlage am See. Doch die Idylle trügt: In Pflanzen des Spielplatzes fand das vom K-Tipp beauftragte Labor Rückstände von Schädlingsbekämpfungsmitteln.
Die Testredaktion des K-Tipp sammelte Mitte April auf zehn Kinderspielplätzen in verschiedenen Kantonen der Deutsch- und der Westschweiz Pflanzenmaterial: Gras, Blumen, Blätter und Holzschnitzel, mit denen Kinder auf den Spielwiesen und zwischen Kletterburgen, Schaukeln und Rutschbahnen in Kontakt kommen können. Die Spielplätze befinden sich sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten.
Insektengifte an fünf Spielplätzen
Ein deutsches Labor analysierte für den K-Tipp das gesammelte Material auf über 600 Pestizide. Resultat: Der Spielplatz von Unterägeri ist kein Einzelfall. Sechs der zehn untersuchten Orte waren mit Pestiziden belastet. Fünf Materialproben enthielten ein bis zwei dieser Substanzen, eine Probe sogar drei Chemikalien (siehe Tabelle im PDF).
Am häufigsten fand das Labor das Insektizid Formetanat. Es wird zur Bekämpfung von Insekten wie Wanzen und Milben eingesetzt, vor allem bei Obst und Gemüse. Es war in den Pflanzen aus Berikon AG, Kreuzlingen TG, Männedorf ZH, Schübelbach SZ und Unterägeri ZG enthalten.
Beim Spielplatz im Seeburgpark in Kreuzlingen TG fand das Labor zudem die Unkrautvernichter Monolinuron und Dipropetryn. Die für den Park zuständige Stadtgärtnerei vermutet, dass die Pestizide von einer angrenzenden Ackerfläche stammen. Monolinuron wird im Mais- und Gemüseanbau verwendet. Dipropetryn tötet ebenfalls Unkräuter ab, die zwischen Obst- und Gemüsekulturen wachsen. Diese Substanz liess sich auch im Stadtgarten in Stein am Rhein SH nachweisen.
Das Labor fand zudem die Insektizide Pyrethrin I und II sowie Piperonylbutoxid. Letzteres wird Pflanzen- und Schädlingsbekämpfungsmitteln zugesetzt, um deren Wirkung zu erhöhen.
Pestizide verbreiten sich über die Luft
Immerhin: Die Pflanzen von den Spielplätzen in Basel, Bern, Fribourg und Lausanne waren unbelastet. Alle diese Plätze liegen im Zentrum der Städte, weit weg von landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten. Alle sechs belasteten Spielplätze liegen hingegen in ländlicher Umgebung. Das zeigt, dass die gefundenen Pestizide vermutlich über die Luft verbreitet wurden. Bauern bringen die Spritzmittel auf Äckern und Feldern zwar direkt auf die Pflanzen aus. Durch die Erwärmung des Bodens verdunstet ein Teil davon jedoch in die Luft oder wird über Staubpartikel vom Wind verbreitet.
Bereits im Jahr 1999 zeigte eine europäische Analyse von Studien, dass sich Pestizide weit entfernt von ihrem Anwendungsort finden lassen. Das wies 2017 auch eine Untersuchung von Forschern des Dachverbands für Natur- und Umweltschutz in Südtirol (I) nach: Eine Analyse von Grasproben bei 71 Spielplätzen zeigte: 29 Plätze waren mit Pestiziden belastet.
Auch biologisch bewirtschaftete Flächen sind vor diesen Chemikalien nicht sicher. So stellte die Stiftung Greenpeace 2019 bei einer Stichprobe an vier Orten eine mehrfache Belastung mit über die Luft verfrachteten Pestiziden fest. Auch bei einer «Saldo»-Stichprobe in Schweizer Naturschutzgebieten, Waldreservaten und Wildparks liessen sich in allen Pflanzenproben Pestizide nachweisen, darunter Glyphosat («Saldo» 10/2021).
Giftstoffe landen im menschlichen Körper
Vor drei Jahren zeigte ein Test des «Gesundheitstipp»: Die Stoffe gelangen über Lebensmittel und Atemwege in den menschlichen Körper («Gesundheitstipp» 5/2020): Alle Urinproben von insgesamt 30 Männern, Frauen und Kindern enthielten Rückstände mehrerer Pestizide.
Die Pestizidmengen, die der K-Tipp auf den Spielplätzen fand, sind zwar gering. Und die gefundenen Stoffe sind europaweit zugelassen. Doch das Resultat belegt, dass Pestizide fast überallhin gelangen und sich die Stoffe nur langsam abbauen. Das führt dazu, dass Insekten wie Bienen und Wasserorganismen verschwinden und die Pflanzenwelt verarmt.
Schädlich für Vögel und Säugetiere
Das Wasserforschungsinstitut Eawag wies im Jahr 2017 im Wasser von fünf Bächen zwischen 71 und 89 Pestizide nach. Das Oekotoxzentrum untersuchte zudem die Sedimente in den Bächen. Sie sind Lebensraum für viele Wasserorganismen. Die Forscher fanden auch dort zum Teil hohe Pestizidkonzentrationen.
Pestizide können auch den Bestand von Vögeln und Säugetieren reduzieren. Studien zeigen, dass Vögel wegen der Anwendung von Insektiziden zu wenig Nahrung finden. Laut der Schweizerischen Vogelwarte ist der Bestand an insektenfressenden Vogelarten auf Schweizer Kulturland seit den 1990er-Jahren um 60 Prozent geschrumpft.
Übrigens: Vor rund zwei Jahren lehnte das Stimmvolk eine Initiative ab, die ein Verbot von Pestiziden forderte. Die Bauern versprachen im Vorfeld der Abstimmung, diverse Mittel zur Bekämpfung von Unkraut in Zukunft nicht mehr einzusetzen. Doch jetzt zeigen Zahlen des Bundesamts für Landwirtschaft: Die Bauern setzten problematische Stoffe trotz ihres Versprechens weiterhin ein – zum Teil sogar in nochmals erhöhten Mengen (K-Tipp 7/2023).