Die Pestizidverordnung klingt beruhigend: Der Bund darf Pestizide nur dann zulassen, wenn sie bei «vorschriftsgemässer Anwendung» keine unannehmbaren Nebenwirkungen für Mensch, Tier und Umwelt haben. Für die Kontrollen sind die Kantone zuständig: Sie suchen in Wasser und Lebensmitteln nach Pestiziden. Stellen sie fest, dass ein Stoff mehr Schaden anrichtet als erwartet, nimmt die Zulassungsstelle im Bundesamt für Landwirtschaft den Stoff vom Markt. Oder macht strengere Auflagen.
Die Kantone sind verpflichtet, nach Stoffen zu suchen, die nachweislich schädlich für die Gesundheit sind. Andere Stoffe können sie messen, wenn sie diese für heikel halten.Die Kantone beklagen sich aber darüber, dass ihnen der Überblick über die zugelassenen Stoffe fehle. Der Schaffhauser Kantonschemiker Kurt Seiler etwa sagt: «Wir fischen im Trüben.» Das heisst: Die Kontrollstellen können ihre Arbeit nicht richtig machen.
Bundesamt hält wichtige Daten zurück
Die Kantonschemiker müssten wissen, wo Risiken lauern: welche heiklen Abbaustoffe eines Mittels zum Beispiel ins Grundwasser gelangen können. Und: an welchen Orten Bauern ein bestimmtes Mittel in welchen Mengen auf die Felder sprühen. Nur so können die Kantonschemiker gezielt untersuchen, ob die Grenzwerte eingehalten werden. Doch das Bundesamt für Landwirtschaft erschwert den Kantonen die Arbeit. Es rückt wichtige Daten und Studien von Pestizidherstellern nicht heraus und informiert selbst nur spärlich über die Schadstoffe. Die Zulassungsstelle begründet ihre Geheimniskrämerei mit dem Geschäftsgeheimnis der Hersteller.
Das alles scheint auch dem Bundesrat nicht ganz geheuer zu sein. Im Februar kündigte er «mehr Transparenz» bei der Zulassung von Pestiziden an. Was das konkret bedeutet, bleibt allerdings unklar. Die «spezifischen Massnahmen» will er erst bis Mitte 2023 ausarbeiten. Dann sind die Abstimmungen über die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative längst vorbei.
Laut Gutachten fehlt die Transparenz
Dabei wollte der Bundesrat ursprünglich bereits im Frühjahr 2019 informieren, wie es mit der Zulassung von Pestiziden weitergeht. Nach zahlreichen Vorstössen im Parlament hatte der Bund 2018 die Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG engagiert, um das Verfahren unter die Lupe zu nehmen. Ein Jahr später hielt diese in ihrem Schlussbericht fest: «Die Ansprüche bezüglich Transparenz innerhalb der Behörden und gegenüber der Öffentlichkeit werden nicht erfüllt.» Sie kritisierte zudem, dass nicht einmal die Kontrollbehörden Gutachten und Studien der Hersteller einsehen könnten. «Dies erschwert die Beratung und den Vollzug.»
Für die KPMG sind auch die Risikobeurteilungen des Bundesamts für Landwirtschaft nicht detailliert genug. Aussenstehende könnten kaum nachvollziehen, wie Zulassungsentscheide und Risikobewertungen zustande kämen.
Kantonschemiker Kurt Seiler vertrat bei der Evaluation der KPMG die kantonalen Lebensmittel- und Umweltbehörden. Diese forderten Zugang zu einer Reihe von Akten und bessere Risikoberichte. Sie wollten etwa wissen: Wie zersetzen sich die zugelassenen Pestizide im Boden? Welche neuen Stoffe entstehen dabei? Welche dieser Stoffe gelangen ins Grund- und Trinkwasser? Wo genau setzen Bauern heikle Pestizide ein? Zu all diesen Punkten tappen die Kontrollstellen heute noch im Dunkeln. Ihre Kontrollen sind deshalb nur bedingt aussagekräftig.
Dazu sagt das Bundesamt für Landwirtschaft: «Wir sind jederzeit bereit, konkrete Fragen der Vollzugsbehörde zu beantworten.» Man publiziere zudem Informationen, um die Arbeit der Kontrollbehörden zu erleichtern.
Auf die Risikoeinschätzung des Bundesamts ist aber nicht immer Verlass. So stufte es etwa Chlorothalonil bis 2019 als «nicht relevant» für Mensch und Tier ein. Die Kontrollstellen suchten daher nicht nach Chlorothalonil. Heute gilt der Stoff als wahrscheinlich krebserregend. Man weiss, dass das Grundwasser stark damit belastet ist. Um solche Skandale zu verhindern, brauchen die Kantone laut Seiler einen «einfachen und umfangreichen» Zugang zu Pestiziddaten.
Immerhin: Auf einen Kritikpunkt aus dem KPMG-Bericht hat der Bundesrat inzwischen reagiert. Im Bericht hiess es, die Nähe der Zulassungsstelle zur Landwirtschaft könnte zur Folge haben, dass Entscheide zu sehr im Sinn der Agrochemie ausfallen. Ab 2022 wechselt die Zulassungsstelle darum vom Bundesamt für Landwirtschaft zum Bundesamt für Lebensmittelsicherheit. Zudem soll das Bundesamt für Umwelt mehr Einfluss erhalten. Bisher hat es bei der Zulassung von Pestiziden kaum etwas zu sagen.
So sucht der K-Tipp nach Pestiziden
Der K-Tipp misst regelmässig den Gehalt von Pestiziden, zum Beispiel in Lebensmitteln. Labors aus ganz Europa suchen im Auftrag der Testredaktion nach allen Pestiziden, die nach dem aktuellen Wissensstand bekannt sind.
Die Redaktoren durchforsten die Pestizid-Datenbanken anderer Länder und internationale Studien, um herauszufinden, welche Stoffe heikel sind. Das geht allerdings nur bei Stoffen, zu denen bereits öffentlich zugängliche Informationen vorhanden sind.
Die Recherchen sind aufwendig. In der Schweiz sind rund 300 Pestizide zugelassen. Wenn sich diese auf einem Feld im Boden zersetzen, entstehen weitere Abbaustoffe, die ebenfalls schädlich sein können.