Viele Schweizer haben einen Pestizid-Cocktail im Körper. Das belegten Urinanalysen des «Gesundheitstipp» (5/2020) sowie Haaranalysen des K-Tipp (K-Tipp 5/2020). Die Schadstoffe werden über Nahrungsmittel und das Trinkwasser aufgenommen. Einige der Pestizide können die Organe schädigen oder Krebs verursachen.
Die Umweltorganisation Greenpeace hat erstmals die Pestizidmengen in der Luft gemessen. An vier Messstellen im Aargau, Thurgau und Wallis registrierte sie von Mai bis November 2019 insgesamt 25 verschiedene Pestizide. Einige davon – wie Chlorpyriphos, Terbuthylazin und Captan – sind für Menschen hochgiftig und für die Umwelt sehr problematisch. «Das ist wie Passivrauchen, dem man unfreiwillig ausgesetzt ist», sagt Yves Zenger von Greenpeace Schweiz.
Pestizide landen auch auf Bio-Feldern
Am höchsten waren die Pestizidwerte gemäss Greenpeace in einem Walliser Rebberg: 15 verschiedene Pestizide und Abbauprodukte schwebten in der Luft. Darunter sogar ein Abbauprodukt von DDT, einem Pestizid, das in der Schweiz seit 1972 verboten ist.
Im Wallis lassen Winzer Pestizide häufig von Helikoptern oder Drohnen versprühen. Dabei treffen sie auch Felder von Bio-Bauern. Auch bei konventionellen Spritzmethoden kommt es zur Belastung von Nachbarfeldern, wie die Greenpeace-Messungen zeigen. Pestizide landen also nie nur am Zielort auf dem Acker. Ein Teil verdampft in die Luft oder heftet sich an Staubpartikel, die der Wind fortträgt.
Das deutsche Umweltinstitut München wies diesen Herbst ebenfalls nach, dass Pestizide noch Jahre später die Luft belasten. Die Forscher entdeckten auch Abbauprodukte von DDT und Lindan, obwohl diese Stoffe seit Jahrzehnten verboten sind und nicht mehr zum Einsatz kommen.
«Es ist besorgniserregend, dass sich Pestizide über die Luft verbreiten», sagt die deutsche Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Anders tönt es bei den zuständigen Bundesämtern in Bern, die keinen Handlungsbedarf sehen: Bei der Zulassung neuer Pestizide berechnet der Bund zwar mit Computermodellen, wie gross die Abdriftgefahr eines Stoffes ist. Nur: Die Behörden wissen nicht, wie hoch die tatsächliche Menge der Pestizide ist, welche wir einatmen. Dies ist besonders für Anrainer von landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen beunruhigend.
Gesundheitliches Risiko für Bauern
Laut Pierre-Olivier Bridevaux, Facharzt für Lungenkrankheiten am Spital Wallis, ist «das Risiko für Atemwegserkrankungen bei Bauern bekannt». Das sei wissenschaftlich gut belegt. Eine neue Untersuchung aus dem französischen Bordeaux zeige zudem, dass bei Kleinkindern, in deren Urin man Spuren von Fungizid fand, das Risiko für Asthma bis zu viermal höher sei.
Im Wallis ergab diesen Sommer eine Umfrage der Westschweizer Zeitung «Le Nouvelliste», dass fast die Hälfte der 150 antwortenden Anwohner von Rebbergen unter der intensiven Spritzerei leidet. «Wenn ich nicht sofort die Fenster schliesse, brennen meine Augen», wird eine Walliserin zitiert. «An Spritztagen kratzt die Kehle, läuft die Nase, dreht sich der Kopf», berichtet ein anderer Betroffener.
Befragte Lungenspezialisten und Toxikologen werten diese Symptome als plausible Folge der Pestizidbelastung.