Jedes neue Pestizid wird vor der Zulassung in Labors an Tieren getestet. Die Hersteller der chemischen Stoffe legen die Ergebnisse der Labortests den staatlichen Behörden vor. Diese entscheiden anhand der Daten, ob die Bauern das Mittel spritzen dürfen oder nicht. Und falls das Pestizid zugelassen wird, welche Mengen davon Früchte, Gemüse und andere Lebensmittel maximal enthalten dürfen.
So erhalten Hunde beispielsweise während 90 Tagen das Gift per Futter, Trinkwasser, Kapseln oder Sonde verabreicht. Beim Beginn des Versuchs sollten die Tiere «gesund und vier bis sechs Monate alt» sein – so steht es im offiziellen Prüfrichtlinienprogramm der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Einmal wöchentlich werden nebst Anzeichen von Vergiftungen auch Auffälligkeiten wie zum Beispiel «Gang- und Haltungsstörungen, krampfhafte Zuckungen oder abnormes Verhalten wie Rückwärtsgehen oder Selbstverstümmelung» dokumentiert. Hunde, «die während des Tests sterben oder getötet werden, werden seziert».
Thomas Hartung ist Professor für Toxikologie an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA). Laut Hartung sind viele dieser Tierversuche veraltet und garantierten keine Sicherheit mehr für die Gesundheit des Menschen. «Wäre ich Pestizidhersteller, könnte ich nicht mehr gut schlafen.» Allerdings habe niemand Interesse daran, die Versuche in Frage zu stellen, solange es keine Alternativen gebe.
Die meisten Tiere werden getötet
Für die Zulassung eines einzigen Pestizids brauche es gut 30 standardisierte Versuche mit etwa 10 000 Tieren. Laut Hartung sind Versuchstiere «nach der Behandlung verändert»: «Die Tiere werden deshalb in der Regel getötet.»
Für Versuche mit Pestiziden sterben auch in der Schweiz Tausende von Tieren. Laut dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit wurden von 2000 bis 2019 83 282 Tiere mit «Agrochemikalien» getestet – dazu zählen auch die Pestizide. In die Labors kamen Mäuse, Ratten, Kaninchen, Meerschweinchen, Vögel, Fische und Hunde. Rund 76 400 Tiere erlitten «leichte bis schwere Schmerzen oder Schäden». Bei jedem vierten Tier bewirkten die Gifte eine «schwere Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens». Tausende Tiere hatten eine «langfristige schwere Angst».
«Verätzungen und Augenschäden»
Die Zahlen des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit zeigen auch: Im gleichen Zeitraum wurden in der Schweiz weitere 128 500 Tiere mit «möglichen oder tatsächlichen umweltgefährlichen Chemikalien» getestet – auch darunter fallen Pestizide. Jedes siebte Tier litt über längere Zeit unter «mittleren bis starken Schmerzen».
Auch im Ausland arbeitet die Agrochemie mit Versuchstieren: Laut dem deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft setzten deutsche Labors zwischen 2014 und 2019 fast 250 000 Tiere für Pestizidtests ein.
Die Pestizide werden aufgrund der Erkrankungen der Labortiere mit Sicherheitswarnungen für die Anwender versehen. Beispiele:
- «Verursacht schwere Verätzungen der Haut und schwere Augenschäden.»
- «Kann bei Verschlucken oder Eindringen in die Atemwege tödlich sein.»
- «Kann Krebs erzeugen.»
- «Kann Säuglinge über die Muttermilch schädigen.»
Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit rechtfertigt die Tierquälerei: Die Tierversuche brauche es, um Pestizidehöchstwerte für Menschen festzulegen. Die Tests zeigten, ab welchen Mengen die Stoffe giftig sind: «So werden für Menschen sichere Dosen festgelegt.» Weshalb werden dann viele Pestizide Jahre nach der Zulassung trotzdem verboten? Das Amt relativiert: «Es ist möglich, dass neue Erkenntnisse zu schädlichen Effekten vorliegen oder die Zulassungskriterien verschärft wurden.»
Der K-Tipp ersuchte die weltweit grössten Pestizidhersteller um Informationen zu ihren Tierversuchen. Der Basler Chemiegigant Syngenta sagt, man vergebe «solche Arbeiten an Subunternehmer». Er schreibt dem K-Tipp: «Da wir in unseren Labors keine Tierversuche durchführen, müssen wir nicht darüber berichten.» Die Tests fänden jedoch «überall auf der Welt statt».
Die deutsche Chemiefirma Bayer benötigte laut der eigenen Internetseite im vergangenen Jahr 95 010 Labortiere, darunter 855 Hunde, Katzen und Affen. Wie viele davon für die Entwicklung von Pestiziden verwendet wurden, sagt Bayer nicht.
Der Agrochemiekonzern Corteva (USA) nennt keine Zahlen. Aber alle Versuchstiere würden «ethisch, human und mitfühlend behandelt».
Der deutsche Chemieriese BASF führt Tierversuche «überwiegend» in Ludwigshafen (D) durch. Versuchstiere seien Ratten, Kaninchen, Mäuse, Fische und «selten Hunde».
Der Bundesrat hat kein Gehör für Vorstösse gegen Tierversuche mit Pestiziden. Er antwortete im Mai 2017 auf eine Interpellation der Schaffhauser SP-Nationalrätin Martina Munz: Ein Verzicht auf Tierversuche würde «die einheimische Industrie gegenüber der ausländischen Konkurrenz benachteiligen und den Wirtschaftsstandort Schweiz schwächen».